Mathematik verstehen 6, Schulbuch

124 6 ergÄnzungen zu Funkt ionen Der Definitionsbereich einer Funktion wurde zu eulers Zeiten nicht sonderlich beachtet. Bei hankel war er noch stets ein Intervall. Mit dem Fortschritt der Mathematik im 19. Jahrhundert mussten jedoch auch andere Definitions- und Ziel- bereiche zugelassen werden. Dies führte schließ- lich zu einem allgemeinen Funktionsbegriff durch richard Dedekind (1831–1916), bei dem beliebige Definitions- und Zielmengen zugelassen sind (sie- he Abb. 6.8; Mengen hießen bei Dedekind „Systeme“ und Funktionen „Abbildungen“). Bei Dedekind findet sich zum ersten Mal eine kla- re Unterscheidung zwischen der Funktion φ und dem Funktionswert φ (s). Seine Definition enthält allerdings einen „Schönheitsfehler“. In ihr ist von einem nicht näher definierten „Gesetz“ die Rede. Was sich die Mathematiker des 19. Jahrhunderts mit der Funktionsdefinition von hankel einge- handelt haben, war ihnen am Anfang nicht be- wusst. Sie dachten zunächst nur an „anständige“ Funktionen. Erst nach und nach bemerkten sie, dass unter ihren Funktionsbegriff wahre „Monster“ fielen. Aber schon Bernhard Bolzano (1781 – 1848) und nach ihm Karl Weierstrass (1815 –1897) fanden „pathologische“ Funktionen, deren Graphen aus lauter Ecken bestehen. Man- che Mathematiker lehnten diesen Funktionsbe- griff ab, andere jedoch stürzten sich begierig auf die Untersuchung solcher Funktionen, was letztlich den Fortschritt der Mathematik beflü- gelt hat. Die vielen Möglichkeiten, eine Funktion zu defi- nieren, und die Unsicherheit darüber, wirklich das erfasst zu haben, was man erfassen will, haben einen berühmten Mathematiker zu einem denk- würdigen Ausspruch verleitet: hermann Weyl (1885 –1955) Niemand kann erklären, was eine Funktion ist. Dieser Ausspruch spiegelt zwei fundamentale Eigenschaften eines mathematischen Begriffs wider: ƒ  Ein mathematischer Begriff wird niemals vollständig durch eine Definition erfasst. ƒ  Die Entwicklung eines mathematischen Begriffs ist nie abgeschlossen. In der Tat gibt es auch heute noch Weiterent- wicklungen des Funktionsbegriffs, vor allem verallgemeinerungen. Abb. 6.7: hans hermann hankel (1839 –1873) Eine Funktion heißt y von x, wenn jedemWerte der veränderlichen Größe x innerhalb eines gewissen Intervalls ein bestimmter Wert von y entspricht; gleichviel, ob y in dem ganzen Intervalle nach demselben Gesetze von x abhängt oder nicht; ob diese Abhängigkeit durch mathematische Opera- tionen ausgedrückt werden kann oder nicht. Abb. 6.8: richard Dedekind (1831 –1916) Unter einer Abbildung φ eines Systems S wird ein Gesetz verstanden, nach welchem zu jedem be- stimmten Element s von S ein bestimmtes Ding gehört, welches das Bild von s heißt und mit φ ( s ) bezeichnet wird. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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