sprachreif HUM 4/5, Schulbuch

175 Exilliteratur von 1933–1945 Bücherverbrennungen, Zensur, Druck- und Verkaufsverbo- te, die Kontrolle von Verlagen und Buchhandlungen, schwarze Listen mit von den im Nationalsozialismus verbotenen Autorinnen und Autoren: Ab 1933 in Deutsch- land und ab 1938 in Österreich wurde auch der Literaturbe- trieb vom nationalsozialistischen Regime beherrscht. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs und der politischen Entwick- lung hin zu diesem Weltkrieg flohen immer mehr Men- schen, darunter natürlich auch Künstlerinnen und Künstler, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, in andere Länder, um der Verfolgung zu entgehen. Die Literatur, die in dieser Zeit durch die geflohenen und daher im Exil lebenden Schrift- stellerinnen und Schriftsteller entstand, wird Exilliteratur genannt. Merkenswert: Exilliteratur Literatur, die von unfreiwillig im Ausland lebenden Schriftstellerin- nen und Schriftstellern verfasst wurde, nennt man Exilliteratur. Der Grund ihrer Flucht bestand meistens in der Verfolgung durch das natio- nalsozialistische Regime aufgrund ihrer systemkritischen Haltung und/oder weil sie jüdischer Abstammung waren. Lesen Sie das Gedicht Wer läutet draußen an der Tür von Theodor Kramer. Sprechen Sie im Plenum über den Inhalt des Gedichts. Theodor Kramer (1897–1958): Wer läutet draußen an der Tür? (1939) Wer läutet draußen an der Tür, kaum daß es sich erhellt? Ich geh schon, Schatz. Der Bub hat nur die Semmeln hingestellt. Wer läutet draußen an der Tür? Bleib nur; ich geh, mein Kind. Es war ein Mann, der fragte an beim Nachbar, wer wir sind. Wer läutet draußen an der Tür? Laß ruhig die Wanne voll. Die Post war da; der Brief ist nicht dabei, der kommen soll. Wer läutet draußen an der Tür? Leg du die Betten aus. Der Hausbesorger war’s; wir solln am Ersten aus dem Haus. Wer läutet draußen an der Tür? Die Fuchsien blühn so nah. Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein und wein nicht: sie sind da. QUELLE: Erwin Chvojka (Hg.): Theodor Kramer. Gesammelte Gedichte. Band 1–3. Wien: Zolnay, 1997 (in Originalschreibung). C A39  2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Merkenswert: Theodor Kramer (1897–1958) Der Lyriker Theodor Kramer wurde 1897 in Niederhollabrunn im Waldviertel geboren. Zur Schule ging er in Wien. Als junger Erwachsener wurde er im Ersten Weltkrieg schwer verwundet. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst als Buchhändler, ab 1931 war er als freier Schriftsteller tätig. Bis zur Machtergreifung der nationalsozialistischen Diktatur hatte er im deutschen Sprachraum großen Erfolg. Dann ändert sich die Lage dramatisch. Der Jude und Sozialdemokrat Kramer erhielt Berufsverbot, verlor seine Wohnung, sein Leben war in Gefahr. Er wollte Österreich aber zunächst nicht verlassen. Erst spät, im Jahr 1939, gelang ihm schließlich die Flucht nach England. Kramers Mutter wurde aus Wien deportiert und im KZ Theresien- stadt ermordet, wovon er erst nach Kriegsende erfuhr. 1958, kurz vor seinem Tod, kehrte Theodor Kramer nach Wien zurück. Sein Werk umfasst mehr als 10.000 Gedichte. Reflexion Literatur Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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