sprachreif HUM 3, Schulbuch

60 Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich. – (Nach einer Pause, in welcher er des Sultans Ant- wort erwartet) Fast so unerweislich, als Uns jetzt – der rechte Glaube. SALADIN: Wie? das soll Die Antwort sein auf meine Frage? … NATHAN: Soll Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe Mir nicht getrau’ zu unterscheiden, die Der Vater in der Absicht machen ließ, Damit sie nicht zu unterscheiden wären. SALADIN: Die Ringe! – Spiele nicht mit mir! – Ich dächte, Dass die Religionen, die ich dir Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären. Bis auf die Kleidung, bis auf Speis’ und Trank. NATHAN: Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. – Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! – Und Geschichte muss doch wohl allein auf Treu’ Und Glauben angenommen werden, – nicht? – Nun, wessen Treu’ und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen! Doch deren Blut wir sind! Doch deren, die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben, die uns nie getäuscht, als wo Getäuscht zu werden uns heilsamer war! – Wie kann ich meinen Vätern weniger Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. Kann ich von dir verlangen, dass du deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht Zu widersprechen? Oder umgekehrt. Das Nämliche gilt von den Christen. Nicht? – SALADIN: Bei dem Lebendigen! Der Mann hat Recht. Ich muss verstummen. NATHAN: Lass auf unsre Ring’ Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, Unmittelbar aus seines Vaters Hand Den Ring zu haben. – Wie auch wahr! – Nachdem Er von ihm lange das Versprechen schon Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Genießen. – Wie nicht minder wahr! – Der Vater, Beteu’rte jeder, könne gegen ihn Nicht falsch gewesen sein; und eh’ er dieses Von ihm, von einem solchen lieben Vater, Argwöhnen lass: Eh’ müss er seine Brüder, So gern er sonst von ihnen nur das Beste Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels Bezeihen; und er wolle die Verräter Schon auszufinden wissen; sich schon rächen. SALADIN: Und nun, der Richter? – Mich ver- langt zu hören, Was du den Richter sagen lässest. Sprich! NATHAN: Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis’ ich euch Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel Zu lösen da bin? Oder harret ihr, Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? – Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht können! – Nun, wen lieben zwei Von euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück und nicht Nach außen? Jeder liebt sich selber nur Am meisten? – O, so seid ihr alle drei Betrogene Betrüger! Eure Ringe sind alle Drei nicht echt. Der echte Ring Vermutlich ging verloren. Den Verlust Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater Die drei für einen machen. SALADIN: Herrlich, herrlich. NATHAN: Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: Geht nur! – Mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater, so glaube jeder sicher seinen Ring Den echten. – Möglich, dass der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger In seinem Hause dulden wollte! – Und gewiss, Dass er euch alle drei geliebt, und gleich Geliebt: indem er zwei nicht drücken mochte, Um einen zu begünstigen. – Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen, Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring’ an Tag Zu legen, komme dieser Kraft mit Sanftmut, Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 162 164 166 168 170 172 174 176 Eine literarische Erörterung schreiben Schritt 1: Planen Schreiben 2  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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