sprachreif HUM 3, Schulbuch

202 den. Aber die grausamen Konsequenzen kriege- rischer Schusswechsel werden demGamer in der Regel vorenthalten. „Spec Ops: The Line“ schockiert mit drasti- schen Bildern Doch es geht auch anders, wie zum Beispiel das vielfach preisgekrönte Spiel „Spec Ops: The Line“ aus der deutschen Spieleschmiede Yager in Ber- lin zeigt. „Spec Ops“ wirkt auf den ertsen Blick wie fast alle, heute modernen, auf Hochglanz po- lierten, fotorealistisch aussehenden, waffenstar- renden Blockbuster-Shooter à la „Call of Duty“ oder „Battlefield“. Aber innerhalb weniger Minu- ten wird deutlich, dass die drastischen Bilder in „Spec Ops: The Line“ keinen Platz für Kriegsro- mantik lassen. −Macht das diesen Titel zumAn- ti-Kriegs-Spiel? Yager-Geschäftsführer Timo Ullmann zeigt sich auf dem Youtube-Kanal Wartime Dignity unideologisch: „Ich weiß nicht, ob es Antikriegsspiele überhaupt gibt. Jedenfalls war es unsere Absicht, das Genre der Militärspie- le in eine neue Richtung zu führen. Wir wollten nicht diesen Hurra-patriotischen Weg einschla- gen – der ja schon ausgetreten ist –, sondern wollten in diesemGenre etwas Neues liefern und eine Geschichte erzählen, die den Spieler auch psychologisch und emotional auch sehr stark packt“. Und das tut sie, die Geschichte: Einen packen und ordentlich durchschütteln. Die Bilder sind so schlimm wie das, was uns die Nachrichten je- den Abend nicht mehr zeigen. Die extremen Darstellungen der Folgen militärischer Gewalt – also nicht nur des Moments der Wirkung − sorg- ten dafür, dass „Spec Ops“ erst ab 18 Jahre erhält- lich ist. „Defcon: Everybody Dies“: Die Abstraktion kriegerischer Zerstörung Den entgegengesetzten Weg, nämlich den der maximalen Abstraktion, geht „Defcon: Everybo- dy Dies“. Auch dieses Spiel – inzwischen zehn Jahre alt, aber konzeptionell weiterhin höchst elegant − problematisiert Krieg und instrumen- talisiert ihn nicht nur. Dieses kleine Indie-Game ist ein transmediales Produkt. Der Film: „War Games“ aus dem Jahr 1983 dient als Vorlage. In „War Games“ hackt sich der blutjunge Matthew Broderick als Computer-Freak – ohne es zu wis- sen – in den Rechner des US-amerikanischen Atom-Verteidigungskommandos. Online spielt der Junge nun mit seinem „Spielpartner“ das Spiel „Thermonuklearer Krieg“. Die Moral des Films lieferte am Ende der Supercomputer: „Ein seltsames Spiel. Der einzig gewinnbringende Zug ist, nicht zu spielen.“ „Defcon“ ist dem Spiel aus dem Film nicht nur inhaltlich, sondern auch äußerlich nachempfun- den: Die Spieloberfläche ist ein nur noch aus Git- tergrafik bestehender Globus, mit Symbolen für Atom-U-Boote, Abschusssilos und Großstädte. Gestartete Atomraketen werden als dünne, leuchtende Linien angezeigt, die sich langsam über den Globus bewegen. Nukleare Explosio- nen sind nur noch ein kurzes weißes Aufflackern, gefolgt von der Millionen-Zahl der jeweiligen Opfer. Und das Ziel des Spiels? Wie der Titel schon sagt, „everybody dies“, denn gewonnen hat der, der die wenigsten Todesopfer zu beklagen hat. Der Spieler führt Krieg – und löscht die Menschheit aus. Medienspielpädagoge Horst Pohlmann von der Akademie Remscheid hat beobachtet, dass das Spiel trotz seiner Nüchternheit tief berührt: „Abermillionen von Zivilbevölkerung im Spiel erledigen zu müssen, das ist tatsächlich auch ein Tabuthema unter Gamern und hat bei uns – also wir haben es mit Jugendlichen einige Male aus- probiert – dafür gesorgt, dass die Gamer sich wirklich völlig irritiert über den Spielinhalt ge- äußert haben.“ Das „Zivilisationsproblem Krieg“ im Spiel Die extreme Abstraktion von „Defcon“ verstärkt also die Wahrnehmung des ethischen Problems und menschlichen Leidens imKrieg. „Spec Ops“ hingegen schockiert Spieler mit den grausamen Ergebnissen militärischer Konflikte. Und „This War of Mine“ bringt den Spieler an die Quellen der heutigen Flüchtlingsströme aus Kriegsgebie- ten. Digitale Kriegsspiele können sich also, entgegen verbreiteter Meinung, durchaus auch inhaltlich mit dem „Zivilisationsproblem“ Krieg befassen, anstatt ihn nur als Blaupause für Konfliktmodel- le und Kampfmechaniken zu nutzen. 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 Schreiben 6  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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