sprachreif HUM 3, Schulbuch

188 Heldenverehrung im Krieg Von red | Ohne Datum Heldenverehrung im Krieg zeichnet sich durch die Überhöhung einer Person oder einer Personengrup- pe aus, mit dem Ziel, durch breite persönliche Identifikation in der Bevölkerung die Kriegsbegeisterung oder -zustimmung zu fördern. Häufig gehen damit Verkürzungen der historischen Wahrheit, Schwarz- Weiß-Bilder und Missbrauch persönlichen Leids zu Propagandazwecken einher. Zum Beispiel: Jessica Lynch Die US-Gefreite Jessica Lynch wurde im Irak-Krieg schwer verletzt, von ihrer Einheit aus einem irakischen Krankenhaus befreit und zu Hause zu einer Heldin des Krieges. Doch sie wehrt sich gegen den Miss­ brauch ihres Leids. „Seit ihrer Heimkehr nach Pa- lestine, West Virginia, ist Jessica Lynch dort nur selten gesehen worden. Meistens sitzt die Ge- freite Lynch im Rollstuhl oder sie geht auf Krücken. Sieben Monate sind seit ihrer Verwun- dung, Gefangennahme und Be- freiung im Irak vergangen, doch immer noch kann sie höchstens 40 Schritte gehen. Arme und Beine, vielfach gesplittert, wachsen nur langsam wieder zusammen. Erst vor zwei Mo- naten wurde die Stahlklammer abmontiert, die das linke Schienbein stützte.“ „Jedes Mal, wenn Jessica Lynch das Haus ihrer Eltern verlässt, begegnet sie ihrem zweiten Ich. Jenem Bild, das sich FreundIn- nen und Nachbarn, ja viele ih- rer Landsleute während ihrer Abwesenheit von ihr gemacht haben. Binnen Sekunden ist sie dann von Menschen umringt, die nichts anderes wollen, als sie anzuschauen oder zu berühren – so, als gingen heilende Kräfte von ihr aus. Kameras klicken. Ein Kind fragt: ‚Mama, ist dies das Mädchen aus dem Fernse- hen?‘ Und immer wieder hört sie: ‚Jessica, Sie sind eine Hel- din.‘ Was damals im Südirak tatsäch- lich geschah, ist immer noch umstritten: Die erste Version war jene frohe Botschaft, nach der eine Nation dürstete, deren Truppen gerade im irakischen Wüstensand fest- saßen: Eine Heldin feuerte in aussichtsloser Lage wie Rambo auf den männlichen Feind, wurde – schwer verletzt – ge- fangen genommen und Tage später von eigenen Leuten ge- rettet. Jessica Lynch, 507. Ver- sorgungseinheit, Prototyp des tapferen GIs, schien die Vorbo- tin eines bevorstehenden Durchbruchs nach Bagdad zu sein. Ihre Geschichte war eine Metapher für die Sieghaftigkeit des Krieges.“ „Die zweite Version der Ge- schichte tauchte 24 Stunden nach Lynchs Befreiung erstmals auf, als ein BBC-Reporter unge- hindert durch das Hospital von Nasirija spazierte. Die Stadt war inzwischen in amerikanischer Hand. Ein paar Fragen stellten sich: War die Kommando-Ope- ration zur Befreiung notwendig oder nur martialisch inszeniert? Hat Lynch Schusswunden? Hat sie überhaupt geschossen? In diesen Tagen nun kommt die dritte Lesart der Ereignisse auf den Markt. Sie zeugt vom Ende des Triumphes und der Hur- ra-Atmosphäre. Da ist erst ein- mal Jessica Lynch selbst. Sie versucht, sich von dem Image, das ihr von ihren Vorgesetzten und den Kriegsberichterstat­ terInnen aufgenötigt wurde, zu befreien. Ein Mädchen vom Lande tritt auf, scheu, an Krü- cken humpelnd, gezeichnet. Es wehrt sich gegen den Miss­ brauch ihres Leidens zu natio- nalen Zwecken. ‚Ich bin keine Heldin‘, lautet ihr Kernsatz. ‚Ich habe nur überlebt.‘“ „Und wie? ‚Ich habe nicht ge- schossen, nicht einen Schuss.‘ Denn ihr Gewehr streikte. ‚Ich habe den Kopf zwischen die Knie gesteckt, die Augen ge- schlossen und gebetet. Das ist meine letzte Erinnerung.‘ Im irakischen Krankenhaus sei sie gut behandelt und nicht, wie behauptet, geschlagen worden. Von der Vergewaltigung, die ihre amerikanischen ÄrztInnen 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 Einen Kommentar schreiben Schritt 1: Planen Lesen Sie den Beitrag Heldenverehrung im Krieg. Der Text ist eine redaktionelle Bearbeitung einer Reportage aus der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT und wurde auf der Website des Friedensbüros Salzburg veröffentlicht. A27  Schreiben 6  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verla s öbv

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