sprachreif HUM 3, Schulbuch

148 Lesen Sie den folgenden Text und bearbeiten Sie anschließend folgende Arbeitsaufträge: •• Benennen Sie das reale Ereignis, auf das sich der Text bezieht. •• Fassen Sie dieses kurz und neutral zusammen. Informieren Sie sich über die Hintergründe, z. B. im Standard ( https://der standard.at/2000084612925/Paedophiler-Tom-Hanks-QAnon-nutzt-uralte-Diffamierungstaktik ). •• Bestimmen Sie, um welche journalistische Textsorte es sich bei dem unten abgedruckten Text handelt. •• Weisen Sie mithilfe der Tabelle und anhand von Beispielen aus dem Text Merkmale der Textsorte nach. A5  Ó 95f7ex Die halbe Wahrheit Von Severin Groebner | 07.09.2018 Eine glaubhafte Verschwörungstheorie ist für den Humoristen eine große Herausforderung. Das liegt an ihrer Struktur. Denn sie ist meist ge- nauso aufgebaut wie eine gelungene Satire. Man nehme: erstens Menschen in der Öffentlichkeit, die im persönlichen Sympathie-Ranking nahe dem Gefrierpunkt liegen (je nach Geschmack und Überzeugung: Kanzler, Musterlehrling oder Heinz Marecek), zweitens einen beklagbaren bis unappetitlichen gesellschaftlichen Umstand (Schwermetalle im Dieselabgas, Korruption im Spital, Analphabetismus im Parlament) und drit- tens eine undurchsichtige Quelle (das zweite Buch des Aristoteles, das 13. BuchMose, die Pro- tokolle der Waisen von Lunz, die verschwunde- nen Akten der BVT-Hausdurchsuchung), die gerade aufgrund ihrer Unsicherheit besonders wertvoll erscheint, da sie angeblich „feindliche“ Kräfte unter Verschluss halten/zerstören/ge- winnbringend verkaufen oder in Songtexte für DJ Ötzi verwandeln wollen. Der Unterschied zwischen Satire und Verschwö- rungstheorie liegt am Ende nur in deren An- spruch und Rezeption. So glaubt die Satire natür- lich nicht an das, was sie vorgibt zu sagen, sondern will den Konsumenten nur erheitern. Die Verschwörungstheorie dagegen ist fest von ihrem Inhalt überzeugt und will ihren Rezipien- ten in höchstem Maß erregen. Empören. Hoch- jazzen. Er soll da sitzen und schreien: „Das gibt’s doch nicht!“ Nur leider nimmt er diesen Mo- ment der Wahrheit wegen seiner Empörung nicht ernst. Denn natürlich gibt es das, was die Verschwörungstheorie behauptet, wirklich nicht. Letztlich sind Verschwörungstheorien also so was wie Satire für Menschen ohne Humor. Ein Beispiel: In den USA gibt es das Gerücht, Ba- rack Obama, die Clintons und Tom Hanks (also Menschen, die viele nicht sehr mögen – siehe erstens) würden einen Kinderpornoring (zwei- tens) betreiben, denn das behaupte ein anony- mer, hochrangiger Regierungsmitarbeiter na- mens QAnon, der leider, leider seine wahre Identität aus Eigenschutz nicht enthüllen könne (drittens). Diese Geschichte wäre vor zehn Jah- ren noch eine bitterböse Pointe in einem Come- dy-Programm gewesen. Die Leute hätten gelacht. Jetzt glauben Menschen in den USA daran. Aber ist es hierzulande besser? Was wäre, würde Ihr Glossenhauer jetzt behaupten, Michael Jeannée, Matteo Salvini und Alexander Gauland (erstens) wärenMitglieder eines geheimenMüll- kartells, das mit Hilfe der Cosa Nostra jede Menge toxisches Material wie Plastikabfall, AKW-Brennstäbe oder Anzeigenabrechnungen von „Krone“ und „Österreich“ (zweitens) regel- mäßig zwischen Sizilien und Malta imMeer ver- senkte; das hätte nämlich ein ebendort aus dem Mittelmeer geretteter Flüchtling berichtet, der aber aufgrund seines schwebenden Asylverfah- rens leider ungenannt bleiben müsste (drittens). Oder lieber anders? Christian Kern und Wolf- gang Ambros (erstens) schreiben gemeinsam ein Musical über den Song-Contest-Erfolg von Con- chita Wurst (zweitens), wie ein in die Vereinigte Bühnen Wien eingeschleuster Spion des russi- schen Bolschoi-Ballets (drittens) glaubhaft versi- chert. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 Lesen 5  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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