sprachreif HUM 3, Schulbuch

116 begannen die Hausbesetzungen. Und in den 80er Jahren kam der Punk auf mit Irokesenschnitt und Lederjacke. Jede Generation hatte ihre Art sich abzugrenzen, zu provozieren und zu rebel­ lieren. Aber heute? Piercing, Tattoo und Löcher in der Hose – sieht man längst überall. Als junger Mann mit dem Freund händchenhaltend auf der Straße laufen – zumindest in Großstädten ganz normal. Und als Frau einen Männerberuf ergrei­ fen? Da lächelt die Auszubildende zur Zerspa­ nungsmechanikerin nur müde. Vielfalt gehört zumMainstream dazu. Haus und Garten – ist das langweilig? Gleichzeitig ist die Welt komplex geworden. Komplexer zumindest, als sie es in den 60er und 70er Jahren war. Die Meeresspiegel steigen, unse­ re Daten geistern ungeschützt im Internet um­ her, und wie hoch später die Rente sein wird, darüber denken junge Menschen lieber nicht nach. Da bietet der Mainstream Orientierung. Sich gemeinsam nach Geborgenheit und Akzep­ tanz sehnen – das verbindet. Und feste Zweierbe­ ziehungen geben Sicherheit. Zwar fällt das Fest­ legen auf eine Person in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten vielen schwer. Trotzdem wollen die meisten später mit einem Partner glücklich werden. Und wenn zu dieser Vorstellung Haus und Garten oder zumindest Hund und Balkon dazugehören? Ist das dann langweilig? Viele Alt-68er sitzen mittlerweile vermutlich ebenfalls im Garten hinter ihrem Ei­ genheim und züchten Tomaten. Shitstorm statt wütender Demonstration Außerdem ist der Protest in den vergangenen Jahren durchaus nicht zurückgeblieben. Er hat sich nur gewandelt, ist subtiler geworden. Es geht nicht mehr gegen das System als Ganzes, son­ dern gegen Ausschnitte. Das drückt sich zum Beispiel im Kaufverhalten aus. Da schlägt sich der Unmut über unmenschliche Arbeitsbedin­ gungen in der Dritten Welt eben im Kauf eines Fairphones nieder, einem fair produzierten Mo­ biltelefon. Junge Menschen unterschreiben On­ line-Petitionen gegen die Schließung des Kiosks um die Ecke, aber auch gegen TTIP. Sie beteili­ gen sich an Shitstorms, die es durch die katalysie­ rende Wirkung der Medien bis in die Tagesschau schaffen können. Und manche finden sich dann doch bei im Internet organisierten Flashmobs auf der Straße wieder. Der Protest äußert sich heute nicht mehr in wü­ tenden Demonstrationen. Na und? Trotzdem haben junge Menschen eine Meinung. Die Re­ bellion gegen den Mainstream gehört offenbar nicht mehr zum Erwachsenwerden? Wen stört’s? Die Jugendlichen von heute sind trotzdem indi­ viduell. Vielleicht liegt am Ende ihre größte Pro­ vokation gerade darin, spießiger zu sein als die eigenen Eltern. QUELLE: https://www.tagesspiegel.de/wissen/sinus-jugendstudie-die-jugend-ist-angepasst-na-und/13505390.html ; (abgerufen am 06.09.2018) Infobox: Sinus-Jugendstudie: Eine Studie über die Lebenswelten von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in Deutschland, durchgeführt vom Sinus-Institut (Markt- und Sozialforschungsinstitut) TTIP: (geplantes) Transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA Tagesschau: Nachrichtensendung der ARD, vergleichbar mit der ZIB im ORF 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 Schreiben Semester- check Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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