sprachreif HUM 2, Schulbuch

92 Und ich habe dann natürlich: „Blödmann“ ge- sagt. Und er hat gelacht. Alle ²ndet er lieb, alle. Den Grobian aus dem zweiten Stock auch, der ihm schon Kopfnüsse verpasst hat und mir ö¥er das Bein stellt, in der Früh, wenn ich die Treppe hinunterrenne, um den Schulbus noch zu erwi- schen. Nein, ich stehe immer rechtzeitig auf. Im Som- mer machen die Vögel einen solchen Radau, dass ich schon um fünf wach bin. Aber bis das Bad frei ist, kann es bis zu einer Stunde dauern. Und bis meine Tante draußen ist, sogar noch länger. Stunden bleibt sie drin. Stunden. Bis Papa brüllt. Ich bin schon ein paarmal einfach ungeduscht in die Schule gefahren und habe mich dann den ganzen Tag geniert, vor allem, weil Mona laut „Die stinkt“ gesagt hat, als ich an ihr vorbeige- gangen bin. Aber vielleicht hat sie das auch nur so gesagt, sie sagt es ja fast täglich zu mir. Glück gehabt, es haben nicht alle darüber gelacht, und Laura sowieso nicht. Wir haben jetzt ein Seifenversteck im Klo ge- macht, damit das nie wieder passiert. In der drit- ten Kabine vom Mädchenklo ist eine Kachel in der Wand locker. Dahinter hat sie eine kleine, in rosa Papier verpackte Seifenkugel versteckt, und ich schleiche in der ersten Stunde auf die Toilette und wasche mich mit dieser kleinen Seife, die so toll nach Rosen du¥et, als würde ich in einer Wanne voller Blumen baden. Rosen haben wir früher viele gehabt, in unserem Garten. Und eine Katze hatte ich damals auch. Und auf demHeimweg kam ich an einer Ziegen- herde vorbei. Ziegen mag ich. Manche Bauern hier haben auch Ziegen. So wie meine Oma. Habe zu Hause niemandem etwas davon gesagt. Also nicht von den Ziegen, sondern von den blöden Sprüchen der blöden Mona. Auch nicht vom Nichtwaschen noch von der Rosenseife im Versteck auf dem Mädchenklo, damit Papa sich nicht schon wieder wegen der besetzten Dusche aufregt und Mama ihn beruhigen und ihre Schwester Amina verteidigen muss. Und dann kriegt sie Krach mit Amina, weil meine Tante überhaupt gerne streitet. Mit jedem, aber immer noch am liebsten mit Mama, weil die immer so freundlich bleibt oder gleich weint, und dann hat die Tante gewonnen. Ich gehe ihr aus dem Weg, wenn ich kann. Wenn ich Laura nicht hätte, wäre es wirklich schlimm. Aber Glück gehabt, ich habe sie. Ich habe überhaupt viel Glück gehabt, ²nde ich. Irgendwann erzähle ich vielleicht einmal von de- nen, die weniger Glück gehabt haben. Aber das möchte ich noch nicht. QUELLE: Rabinowich, Julya: Dazwischen: Ich. München: Carl Hanser 2016. S. 7–10. 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 Infobox: Dazwischen: Ich „Ein Flüchtlingsmädchen zwischen Tradition und Aufbruch, zwischen Familie und neuen Freundschaften – Julya Rabinowichs bewegendes Jugendbuchdebüt. Das Los der 15-jährigen Madina teilen viele Flüchtlingskinder: Sie alle sind Brückenbauer zwischen ihren Familien und dem neuen Leben in der westlichen Welt. Nach einer beschwerlichen Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat ist Madina endlich angekommen, in einem Land, das Sicherheit verspricht. Doch nicht allen in ihrer Familie fällt es leicht, Fuß zu fassen. Und so ist es an Madina, Mittlerin zu sein zwischen ihrer Familie im Flüchtlingsheim und dem unbekannten Leben außerhalb. Sie nimmt das Schicksal ihrer Familie in die Hand und findet in Laura eine Freundin, die für sie in der Fremde Heimat bedeutet. Eine bewegende Geschichte über Freundschaft, Migration und das Erwachsenwerden in Zeiten von Krieg und Verfolgung – authentisch erzählt.“ QUELLE: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/dazwischen-ich/978-3-446-25306-3/ ; (abgerufen am 11.07.2017) Schreiben 3 Nur zu Prüfzwecken – E igentum des Verlags öbv

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