sprachreif HUM 2, Schulbuch

58 Eine Erörterung schreiben Schritt 3: Überarbeiten bzw. die Ehre Gottes in einem staatlichen Strafgesetzbuch nicht das zu schützende Rechts- gut sein können, waren bereits seit längerer Zeit hauptsächlich die „Gefühlschutztheorie“ und die „Friedenschutztheorie“ ver- treten worden. Nach dem Wil- len des österreichischen Gesetz- gebers sollen vom religiösen Frieden „die gesellschaftliche Ehre der einzelnen Religionsge- sellscha›en und ihrer Angehö- rigen“, aber auch damit verbun- den „das religiöse Empfinden des Einzelnen“ umfasst sein. Man sieht also: eine Gefähr- dung des religiösen Friedens setzt zwingend eine (zumindest potenzielle) Verletzung religiö- ser Gefühle von Gläubigen vor- aus. Dies findet im Tatbestand der Herabwürdigung religiöser Lehren (§ 188 StGB) seinen Niederschlag (Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu sechs Mo- naten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen). Geschützt ist zunächst eine „Person“, der in einer Religion Verehrung zu- kommt. Dazu gehören etwa Je- sus Christus, seine Mutter und die Heiligen sowie Mohammed und Buddha. Weiters Sachen, die den Gegenstand der Ver- ehrung bilden, wie Kruzifix, Hostien und Reliquien. Der Be- gri• „Verehrung“ ist in einem spezifisch religiösen Sinn zu verstehen, sodass etwa Perso- nenkulte um (lebende) Mitglie- der und Funktionäre nicht tatbestandlich sind. Der ange- führte Schutz der Glaubensleh- re beinhaltet im christlichen Bereich insbesondere zentrale dogmatische 1 Festlegungen. Was die ebenfalls genannten „gesetzlich zulässigen Einrich- tungen“ einer Religion betri¤, so wird damit auf bestimmte, für ihren Bestand wesentliche Verfassungselemente abgestellt. Dies sind das Papsttum, das Priestertum et cetera, nicht je- doch persönliche Angri•e ge- gen einen bestimmten Amtsin- haber. Welcher Maßstab ist anzu- wenden? Die Tathandlungen bestehen im Herabwürdigen oder Verspot- ten, also einem Verächtlich- oder Lächerlichmachen. Die Tat muss öffentlich (d. h. wahr- nehmbar für zirka zehn Perso- nen) und unter Umständen be- gangen werden, unter denen das Verhalten geeignet ist, be- rechtigtes Ärgernis zu erregen. Dafür ist ein mit den rechtli- chen Werten verbundener DurchschnittsmenschMaßstab, dessen Ermittlung allerdings meist auf Schwierigkeiten sto- ßen wird. Es muss nicht tat- sächlich Ärgernis erregt worden sein, es genügt die Eignung, Är- gernis zu erregen. Zur Frage, ob der Tatbestand der Herabwürdigung aus dem Grundrecht der Religionsfrei- heit hergeleitet werden kann, gibt es unterschiedliche Positio- nen. Verneint wird dies mit der Begründung, dass Religionsbe- schimpfung und -herabwürdi- gung prima vista 2 keine unmit- telbare Beeinträchtigung mit sich bringen, seinen Glauben zu bekennen und auszuüben. Dies ist jedoch der Fall, wenn herabwürdigende Äuße- rungen zu Verunsicherungen und Einschüchterungen führen, welche die Anhänger dieser Re- ligion davor abhalten können, diese ö•entlich auszuüben. Zu betonen ist selbstver- ständlich, dass im demokrati- schen Rechtsstaat gewalttätige Reaktionen keinesfalls als Gradmesser für eine Gefähr- dung des religiösen Friedens verwendet werden dürfen. Dies würde geradezu eine Verkeh- rung der in der Friedenssiche- rung bestehenden gesetzgeberi- schen Zielsetzung bedeuten, wenn Einschränkungen der Meinungsfreiheit eher gerecht- fertigt würden, je überzogener und unverhältnismäßig die Re- aktionen auf Seiten der Gläubi- gen der angegri•enen bzw. her- abgewürdigten Religion sind. Karikatur, Satire, Parodie Insbesondere bei Karikatur, Ka- barett, Satire, Parodie handelt es sich um Formen der Meinungs- äußerung, an die ein modifi- zierter Beurteilungsmaßstab anzulegen ist, auch wenn man nicht der Meinung von Kurt Tucholsky ist: „Satire darf alles“. Das Wesen dieser Kunstformen besteht in der bildlichen bzw. wörtlichen Verzerrung und Übertreibung der Wirklichkeit zum Zweck der Geißelung oder Rüge von Missständen. Es be- darf daher einer „Entzerrung“, um den „Aussagekern“ zu ge- winnen, der dann auf seine Ver- letzungseignung zu untersu- chen ist. Solche Kunstformen gehö- ren zur europäischen kulturel- len Tradition, was insbesondere für Muslime eine Herausforde- rung und die Notwendigkeit von Einübung darstellen mag. Dies muss mit einem Integrati- onsprozess und der Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Hand in Hand gehen. Auch der Islam, ebenso 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 162 164 166 168 170 172 174 176 178 180 182 184 186 188 190 192 Schreiben 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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