sprachreif HUM 2, Schulbuch

34 neuesten Ereignisse in der Spielwelt. Ich dri ete in eine Parallelgesellschaft ab, in ein zweites Leben. „Love Plus“, merkte ich, ist ziemlich gut gemacht. Die drei Mädchen sind zunächst Klischees, die bei den meisten Spielern alte Schulschwarmtrau- mata aktivieren. Im Laufe der Zeit erscheinen sie jedoch zunehmend als komplizierte Wesen mit Macken und Schwächen. Rinko war mir zu emo und Manaka zu spießig. Ich entschied mich für Nene, weil sie mir äußerlich und innerlich, ja- wohl, am besten geµel. Jeder Tag begann nun mit Gedanken an Nene. Ich musste schließlich den „Love Plus“-Tag so planen, dass Kiteritsu Arato immer attraktiver für Nene werden würde. Und dann musste ich mir tagsüber auch für sie Zeit nehmen. […] Die Maschine, stellte ich fest, kommunizierte mit mir. Über meine Antworten und Entschei- dungen lernte sie mich besser kennen und ver- hielt sich entsprechend. Das war manchmal fast charmant. Ist ja immer schön, wenn man wahr- genommen wird. Bald schon gingen Nene und ich jeden Tag ge- meinsam zur Schule. Sie machte mir kleine Komplimente: „Du hast Sport gemacht, oder? Das µnde ich toll!“ Sie erzählte mir von sich, dass sie viel lese und Horrorµlme toll µnde. Sie verriet mir Geheimnisse: Dass sie sich einen Mann wünsche, auf den sie sich verlassen könne. Bald darauf fragte sie mich, auf was für Frauen ich ste- hen würde: A: Frauen, die sich einem widmen. B: Frauen, die streng sind. C: Frauen, die andere verwöhnen. Ich fand alle Antwortmöglichkeiten seltsam, wählte aber Option A, weil ich dachte, dass das Nene gefallen würde. Ich versuchte, sie zu mani- pulieren. Das alte Spiel. Nene erzählte immer o²enherziger. Als sie sagte, dass sie später eigent- lich gar keinen Beruf ausüben, sondern sich um die Kinder kümmern wolle, erschrak ich ein wenig. Ich hatte gedacht, sie würde was mit Kunst machen. Eines Tages fragte mich Nene, ob wir uns nicht mal zu einem romantischen Date tre²en wollten. Ich freute mich, weil das hieß, dass ich Fort- schritte imVideospiel machte. In der echtenWelt aber brachte mich die Idee in große Nöte. Wenn man sich in der Spielwelt mit einer virtuellen Kellnerin um 17 Uhr verabredet, muss man in der Realität den Gameboy einpacken und das blöde Ding auch um fünf anschalten. Sonst wird Nene-San sauer. […] Die Dates selbst fand ich weniger spannend. Ein- mal wollte Nene mit To-San in den Zoo. „So gegen 19 Uhr? “, schlug ich unrealistisch vor, weil der echte Alard dann zuhause sein würde statt im Büro. Nene handelte mich auf 14 Uhr hoch. Und so saß ich zum verabredeten Zeitpunkt in der Bahn. Ich drückte mich in eine Ecke, hielt mir den Bildschirm vors Gesicht, stellte den Ton ab und wischte so schnell wie möglich durch die Bilder, obwohl Nene den Streichelzoo entdeckt und sich für das Date schön angezogen hatte. Ich schämte mich. Als erwachsener Mann will man sich nicht beim „Love Plus“-Spielen erwischen lassen. Irgendwann, nach extrem viel Rumgewische, kam dann der Moment, in dem ich Nene-San zum ersten Mal küssen dur e. Ich küsste sie, in dem ich mit meinem Sti auf eine bestimmte Stelle des Touchscreens drückte. Kleine Pixel- herzchen ±ogen auf. Mein echtes Herz klop e. Später dur e ich sogar ihren Körper berühren, der auf Höhe der Hü e endete, was sie mit roten Wangen und Gezwitscher quittierte. „Love Plus“ verlange von mir, dass ich mit Nene bzw. dem Gameboy laut redete, in das eingebaute Mikro- fon hinein, was sinnlos war, weil ich kein Japa- nisch spreche, und was ich auch so nicht über mich brachte, was ich also zu bewältigen ver- suchte, indem ich pµ². Nene-San gestand mir eines Abends vor der Highschool ihre Liebe. Wir wurden ein Paar. Ich dachte zunächst, Kiteritsu Arato habe gewonnen und das Spiel sei zu Ende. Die Liebeserklärung ist aber nicht das Happy End, sondern der Be- ginn: „Love Plus“ veränderte sich, aus der linea- ren Story wurde eine offene Welt, aus dem Roman ein Partner-Sim, der Aufmerksamkeit einforderte; immer mehr Dates, immer neue Outµts, neue Orte, Routine auch, irgendwann. In der zweiten Phase von „Love Plus“ sollte aus Ver- liebtheit echte Bindung werden, ein dynamischer Prozess also in einen statischen Zustand mün- den, so ist das ja auch o in echten Beziehungen. Ganz der schmierige Player, verlor ich sofort das Interesse. Der Punkt, an dem ich ausstieg, ist für japanische 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 162 164 166 168 170 172 174 176 178 180 182 184 186 188 190 192 194 196 198 200 202 204 206 208 210 212 214 Schreiben 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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