sprachreif HUM 2, Schulbuch

26 anderes ist als die schrille, immer leicht über- drehte Liebe unserer Populärkultur, wer von ca- ritas et amor spricht oder gar von Nächstenliebe, steht als Moralapostel und Wichtigtuer da. Oder er wird mit der Gretchenfrage der Moderne kon- frontiert: „Glauben Sie etwa nicht an die große Liebe?“ Es ist also doch eine Glaubensfrage. Zu den trotzdem unverdrossenen Religionskriti- kern gehört Christiane Rösinger, die erst Lieder und dann ein ganzes Buch über die Überhöhung der romantischen Liebe geschrieben hat. Was sie sagt, ist eigentlich banal, aber unter den gegebe- nen Umständen doch fast schon revolutionär: „Die Liebe spielt sich als große Sinngeberin auf und gaukelt Erlösung durch Verpaarung vor. Sie ist zur Ersatzreligion geworden, sie gibt vor, alle Sinnfragen beantworten zu können. Sie tut so, als ob nur sie die nötige emotionale Grundversor- gung liefern könnte. Sie ist die Ideologie, die hin- ter der Idee des Paares steht, und in unserer paar- zentrierten Gesellscha gibt es nur einen Status, der zählt: Teil eines Paares sein.“ Vergötterung des Anderen – und des eigenen Ich Eine Frage ist noch o²en: Ist der Mythos Liebe nicht wenigstens dafür gut, den Menschen aus seinem Egoismus herauszuführen? Ist die Sehn- sucht nach Partnerscha nicht immer noch bes- ser als die Selbstsucht? Die Antwort lautet: Diese Art der Liebe ist nur scheinbar eine Überwin- dung der eigenen Grenzen. In Wahrheit handelt es sich um eine Fortsetzung der Ich-Bezogenheit mit anderen Mitteln, denn die Triebkraft, die wirkt, ist ja, wenn man ehrlich ist, gar nicht der Wunsch zu lieben, sondern der, geliebt zu wer- den. Die Vergötterung des Anderen geht Hand in Hand mit der Vergötterung des eigenen Ich, das immerzu gep±egt und in seinem Marktwert er- halten werden muss. Das erfolgreiche Objekt meiner Liebe bestätigt nur meine eigene Großar- tigkeit; unser zur Schau gestelltes Liebesglück schmeichelt niemandem so sehr wie mir selbst. „Die erotische Liebe ist die trügerischste Form der Liebe“, schrieb Erich Fromm, „diese Art der Liebe ist in Wirklichkeit ein Egoismus zu zweit.“ Die wichtigste Voraussetzung, einen anderen Menschen lieben zu können, meint Fromm, wird so gerade nicht gescha²en: die Überwindung des eigenen Narzissmus. QUELLE: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/egoistische-zweisamkeit-ersatzreligion-liebe-13152087.html ; (abgerufen am 23.3.2017) 202 204 206 208 210 212 214 216 218 220 222 224 226 228 230 232 234 236 238 240 242 244 246 248 250 Erklären Sie die folgenden Begriffe, die im Artikel vorkommen. Verwenden Sie bei Bedarf das Wörter- buch und das Internet. Mythos – Ersatzreligion – Leitstern – Heilslehre – Reliquie – Ikone – orthodox/orthodoxe Kirche – salomonisch – Populärkultur – Technokrat – caritas – Gretchenfrage – Narzissmus Bilden Sie Vierergruppen und teilen Sie den Text in verschiedene Sinnabschnitte ein. Beantworten Sie anschließend in der Gruppe die folgenden Fragen: • Welche Ersatzreligionen führt der Autor im Artikel an? • Welche Merkmale von Ersatzreligion werden genannt? • Wen oder was macht der Autor verantwortlich für die Enttäuschungen? Wodurch entstehen die Enttäuschungen? • Welche Botschaften werden Kindern laut dem Autor vermittelt? • Was wird „Religionskritikern“ unterstellt? • Welche Beispiele für „Religionskritik“ führt der Autor an? • Was meint der Autor mit der „Fortsetzung der Ich-Bezogenheit mit anderen Mitteln“? • Was denken Sie in der Gruppe über den „Mythos der Liebe“? Diskutieren Sie im Plenum über den „Mythos der Liebe“. A35 C A36 C A37 Reflexion Medien 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Ve rlags öbv

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