sprachreif HUM 2, Schulbuch

172 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 Und nein, dies ist kein Appell für höhere Förder- summen, die gleichberechtigte Berichterstattung in den Kulturmedien oder die gesellscha–liche Anerkennung als vollständige Sparte des Kunst- betriebs. Auch wenn man nicht au½ören kann, genau diesen gebetsartig zu wiederholen. Nein, dies ist die Forderung, sich damit auseinanderzu- setzen, dass im Theater für junges Publikum nicht der Nachwuchs für das behagliche Abon- nementsystem herangezogen wird. Dass im eater für junges Publikum keine Weiterfüh- rung des Lehrplans angeboten wird. Dass im eater für junges Publikum die Zielgruppe zwar demNamen nach klar de¸niert ist, aber das Wort „eater“ auf Augenhöhe mit dem Begri¯ „jun- ges Publikum“ genannt und behauptet wird. Und diese Forderung richtet sich an alle. Rezipienten, Förderer und Macher dieser wunderbaren und eigenartigen Sparte. „Also ich komme wirklich lieber hier her als ins Schauspiel. Das ist viel direkter und so nah am Leben dran.“ Dies erzählte mir erst vor kurzem eine Besucherin des in der Warteschlange vor dem Einlass zur Vorstellung. Anfang sechzig, ohne Enkel oder Nachbarskind unterwegs, seit mehreren Jahrzehnten schon Abonnentin. Und damit keinesfalls der Durchschnittsbesucher des Kinder- und Jugendtheaters. Leider? Ja. Denn der Blick auf Spielpläne und Festivals imeater für junges Publikum der vergangenen Jahre zeigt erstaunlich viele Positionen und Inszenierungen, die nämlich radikal an der Au½ebung der Gren- zen zwischen dem Kinder- und Jugendtheater und dem Abendspielplan zu arbeiten scheinen. Oder zumindest Grenzgänger in einem aufre- genden und bisweilen auch verwirrenden Grau- bereich sind. Und viele freie Gruppen und eigen- ständige Theaterhäuser wie das Theater im Marienbad in Freiburg oder das Agoraeater in der deutschsprachigen Gemeinscha– in Belgien können auf eine lange Tradition der künstleri- schen Arbeit in oder zwischen den Bereichen der Darstellenden Künste zurückschauen. Die Zielgruppe als Ballast für die Kunst Dennoch bestimmen hier auch die Ausnahmen die Regel und diese besagt bei den meisten Ak- teuren des „Jungen eaters“ eben immer noch, dass die eindeutige Zielgruppende¸nition ganz klar Inhalte und Form bestimmt. Eine Ein- schränkung, die sich seltsam liest und o– auch genauso ansieht. Da werden Schüler der Oberstufe „Fit fürs Abi“ gemacht, da stehen Jim Knopf und Ronja Räu- bertochter fürs Weihnachtsmärchen parat oder man bringt freundlicherweise gleich das eater ins Klassenzimmer. Für sich selbst genommen sind das alles passable Ansätze, wenn es darum geht, die Publikumsstatistik zu füllen, sie geben allerdings nur in den wenigsten Fällen Künstlern die Möglichkeit, hierbei an ihrer Kunst zu arbei- ten. Sind sie doch vielmehr Dienstleister für den Schulbetrieb (bis hin zum Unterrichtsersatz) oder eben saisonales Freizeitangebot. Das wäre wohl nicht einmal halb so schlimm, wenn diese merkwürdig ausgelegte Form der Niederschwel- ligkeit oder des „Abholens“ der Zuschauer nicht auch in viele andere Bereiche der Arbeit im Kin- der- und Jugendtheater ausstrahlen würde – vom theaterpädagogischen Angebot über die kultu- rellen Bildungsprojekte bis hin zu den anderen Positionen auf dem Spielplan. Wobei man ja an dieser Stelle nicht vergessen darf, dass nur wenige der jungen Zuschauerin- nen und Zuschauer alleine ins eater kommen. Eine wichtige Tatsache, die ihrerseits zu den un- terschiedlichsten Formen der Abhängigkeit führt. Im Grunde ist es also hierbei genauso wichtig, die Erziehungsberechtigten oder Auf- sichtspersonen anzusprechen wie die jungen Zu- schauer selbst. Wenn nicht sogar wichtiger. Eine schwierige Aufgabe, wie die meisten Macher des eaters für junges Publikum bestätigen werden. Jedes noch so gut ausgebaute Netzwerk zu Schu- len oder Kitas fußt letztendlich auf der Über- zeugungskraft der Theater. Und dabei wiegen präzise pädagogische Argumente, konkrete Lehrplanbezüge oder eindeutige Verbindungen zu medial geführten Gesellscha–sdebatten im- mer noch mehr als die Kunst. Was unterm Strich bedeutet: Die Erwachsenen entscheiden nicht nur, was sie zeigen und spielen, sondern auch, wer es sehen darf. Ein banaler Fakt, vielleicht auch eine unumgänglich erscheinende Situation, jedoch eine notwendige Tatsachen-Erinnerung, wenn es um das heutige eater für junges Pub- likum geht: Das eater für Kinder und Jugend- liche liegt eigentlich komplett in den Händen Erwachsener. 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 Schreiben 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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