sprachreif HUM 2, Schulbuch
154 15 Jahren . Alles klar? Will man es genauer wissen? Am Ende sogar le- sen? Nun ja, der passionierte Wolf-Haas-Leser sicherlich. Der ist brennend daran interessiert, wie es nach sechs erfolgreichen, x-mal als Film und Hörspiel verarbeiteten Brenner-Krimis wei- tergeht, ob Wolf Haas, von dessen Kämpfen um eine post-Brenner’sche Schriftstellerexistenz man immer wieder hören konnte, ob dieser Wolf Haas die Kurve gekriegt hat, raus aus der unei- gentlichen Quasi- und „Was glaubst du“-Welt seiner Krimiparodien und rein in eine andere Literatur, die trotzdem nicht die richtige, hohe, literaturbeilagenapprobierte potenzielle Büch- nerpreisliteratur ist. Für diese halbö¯entlich aus- getragene literarische Raus-und-rein-Aktion hat sich Wolf Haas die Latte ziemlich hoch gelegt, obwohl sein Ansinnen auf den ersten Blick be- scheiden klingt. Er wollte, so hat er es schön ge- sagt, nur die Ober±ächentextur seiner Romane ändern, die Struktur aber beibehalten. Im Bild alter Schallplatten gesagt: Er wollte eine Spur, eine Rille finden genau zwischen dem alten Brenner-Roman-Jargon, der ja sehr öster- reichisch eigen ist, und dem Hochsprachenlite- raturidiom à la Literaturbeilage. Den Haas-Fans also ist das alles natürlich hoch- spannend und wahrscheinlich auch hochko- misch schon mit der ersten Zeile. Die anderen aber, die kalauerabstinenten Quasi-Normalleser, was machen die mit dieser so komplexen wie aberwitzigen Erzählkonstruktion des neuen Ro- mans? Und: Warum sollen die etwas damit ma- chen? Sie sollen, weil Das Wetter vor 15 Jahren auch eine sich langsam aufschaukelnde Screwball-Ko- mödie ist, in der alles, was geredet wird, über Schreiben, Autorscha und Roman und so wei- ter, nach und nach in immer turbulentere Hand- lung übersetzt wird, bis am Ende Dauerre±exion und Handlungsexzess explosionsartig im grande ¯nale zusammenfallen – mit einem Bang und ei- nem Jauchzer. Zugegeben, es dauert, bis der Roman in Fahrt kommt. Haas hat eine Dramaturgie der Verlang- samung, der Retardierung gewählt, doch aus dem einzigen Grund, wie man nachher wissen wird, um den Höhepunkt zu einem rauschhaen Erlebnis zu machen, bei dem einem Hören und Sehen und Heiraten vergehen. Es ist die Drama- turgie eines könnerhaft inszenierten Ge- schlechtsaktes. Wir steigern noch ein bisschen, dann gehen wir den Berg ein Stück hinunter und wieder hinauf, dann ist da schon die Stromauto- bahn und der Schmugglerkeller und das Wa¯en- magazin…und bevor es knallt, gehen wir wie in amerikanischen Wedding-Komödien noch in die Kirche und lassen alles auf das Jawort zurol- len, während aus dem nahen Berg der Donner der Explosion zu rollen beginnt. Ja, am Ende ist man, der Leser zumal, glücklich aufgeputscht, aber auch ein bisschen postkoital erschöp. Also, die Sache läuft so im Roman von Wolf Haas: Ein Schristeller namens Wolf Haas hat einen Roman geschrieben über einen Gast bei Gottschalks „Wetten, dass …?“. Diese Kurzzeit- berühmtheit, auch noch der Wettgewinner des Abends, heißt Vittorio Kowalski und kann alle täglichen Wetterlagen der letzten 15 Jahre in ei- nem alpinen österreichischen Ferienort auswen- dig. Das fand der Erzähler Wolf Haas so interes- sant, dass er den dreißigjährigen Kowalski nach der TV-Show in Essen-Kupferdreh besuchen will, in dem Moment ausgerechnet, als dieser sich zum ersten Mal nach 15 Jahren in sein alpi- nes Feriendorf auf den Weg gemacht hat. Doch Haas erfährt auch so einiges über den stil- len und etwas scheuen Wetterwetter. Dass der nämlich ein Mädchen liebte alldort, vor über 15 Jahren, und dass er dieses Mädchen, die Anni, fast schon vergessen hat, dafür aber 15 Jahre lang jeden Tag in ihrem Dorf angerufen hat, um sich nach dem Wetter zu erkundigen. Dann kommt naturgemäß eine Menge in Bewegung, als Vitto- rio bei Anni ankommt und diese ihn mit ihrem Verlobten Lukki imArm – „als Kind eine brutale Sau“ – überaus herzlich begrüßt. In Bewegung kommt zum Beispiel der gesamte Hausberg des Ortes, und zwar heftig, um es gleich auf den Punkt zu bringen, doch vorher haben wir schon eine solche genaue Lektion über Vulkanismus und seine Auswirkungen auf das weltweite Wet- ter gelernt, dass es von dort zur Sexualität und mit Foucault weiter zu politisch-historischen Hi- störchen (sprich Diskursen) und weiter zur ame- rikanischen Slapstick-Komödie und von dort zur Erlösung von allen Übeln – im Roman konven- tionellerweise Happy End genannt – nur noch kleine Schritte sind, die der ungläubig staunende Leser wie in Trance bereitwillig mitgeht. […] QUELLE: http://www.zeit.de/2006/40/L-Haas ; (abgerufen am 30.07.2015) 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 Lesen 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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