sprachreif HAK/HTL 4/5, Schulbuch
89 die zum BGE durchzuführen und Finanzie- rungsmöglichkeiten zu berechnen. Kein Abbau des Sozialstaats ImGroben steht das Konzept: ein bedingungslo- ser Transfer in der Höhe von – nur als Hausnum- mer – 1000 Euro, bezugsberechtigt ist die Wohn- bevölkerung in Österreich. Sozialleistungen werden mit dem Transfer gegengerechnet. Es gäbe keine Kürzungen von Sozialleistungen, nur deren Zusammensetzung würde sich ändern. Leistungen über das Grundeinkommen hinaus würden bleiben, darunter liegende würden be- dingungslos. Bekommt jemand derzeit weniger als 1000 Euro, würde die Differenz bis zum Grundeinkommen aufgestockt. Wer vom Staat heute mehr bekommt, hätte am Ende gleich viel wie bisher. Zugleich strebt der Verein an, den Sozialstaat stärker über eine Konsumsteuer zu finanzieren. „Erwerbsarbeit allein würde zur Finanzierung des Staates nicht mehr ausreichen“, sagt Pape. Auch deshalb, weil die finanzielle Absicherung durch ein BGE dazu führen könnte, dass Men- schen weniger arbeiten. Anders als eine progres- sive Einkommenssteuer, die hohe Gehälter hö- her belastet, würde eine Konsumsteuer alle in gleichem Ausmaß treffen. Arme und Reiche müssten den gleichen Steuersatz zahlen. Pape prognostiziert, dass sich im Gefolge des BGEs die Gehälter angleichen würden. Unat- traktive Jobs würden wohl nur gegen höheres Entgelt angenommen, attraktive Stellen könnte man zu geringeren Löhnen besetzen. Wie sich das Modell auf Preise, Gehälter, Arbeitsanreiz und Verteilung in Österreich auswirken wird, sollen Ökonomen der Uni Linz errechnen. Eine Simulation der Industriestaatenorganisati- on OECD zeigt: Werden sämtliche Sozialleistun- gen (ohne Pensionen) in einen Topf geworfen und jedem Staatsbürger zu gleichen Anteilen ausgezahlt, würde das BGE in allen untersuchten Ländern weit unter der Armutsgrenze liegen. In Österreich würde es nur ein Fünftel des Lebens- minimums ausmachen. Das sind für einen Ein- personenhaushalt aktuell 1185 Euro. Die Kosten eines höheren BGEs wären enorm. Auch könn- ten relative Preisveränderungen zuungunsten der Ärmeren ausfallen, warnt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor- schung (DIW). „Denn wenn ein Busfahrer ein höheres Gehalt verlangt, dann heißt dies letztlich auch, dass die Fahrpreise ansteigen“, sagt der DIW-Chef, „viele Menschen mit geringerem Einkommen müssten mit weniger Wohlstand auskommen.“ Experimente sagen wenig Philippe van Parijs ist skeptisch. Nicht, weil er gegen ein BGE ist. Der Ökonom und Philosoph, der an der Universität Louvain lehrt, verficht schon lange ein BGE. Van Parijs ist skeptisch, was die Berechenbarkeit der Folgen eines nicht- konditionalen Transfers betrifft. Zu viele Unbe- kannte seien zu berücksichtigen: Wie verändert sich das Arbeitsangebot? Wie reagieren die Löh- ne? Wie verändern sich die Steuereinnahmen? Zieht eine bedingungslose Leistung Zuwanderer an? „Man müsste das BGE einfach einführen“, sagt er: „Wie Bismarck das mit dem ersten Pensi- onssystem gemacht hat.“ Dann werde man se- hen, was passiert. Experimente wie das in Finn- land werden kaum Rückschlüsse zulassen. Seit Anfang 2017 erhalten dort 2000 Arbeitslose für zwei Jahre rund 560 Euro im Monat. Die arbei- tende Mehrheit der möglichen Bezieher eines BGE ist damit gar nicht Teil des Versuchs. Zu- dem sei die Laufzeit von zwei Jahren zu kurz, um langfristige Effekte ablesen zu können. Die Ver- längerung des Experiments wurde allerdings be- reits abgesagt. Andere Versuche scheiterten bereits vor dem Start. Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) hat mit einem BGE geworben und sich so im März die Mehrheit im italienischen Parlament gesichert. Im Regierungsprogramm mit der Lega findet sich von dieser Idee nichts mehr. Über ein BGE in Höhe von 2500 Franken wurde vor zwei Jah- ren in der Schweiz abgestimmt – eine große Mehrheit war dagegen. Ob Österreich für ein BGE stimmen würde, ist unklar. Unter den österreichischen Parteien do- miniert zwar Skepsis. Dass ungewohnte Allian- zen der Idee zur Mehrheit verhelfen könnten, zeigt ein Blick auf die unterschiedlichen Befür- worter. Nur in einem Punkt sind sich alle einig: Es müsste losgelöst von jeder Erwerbsarbeit sein. Denn unter den BGE-Befürwortern finden sich Libertäre 1 ebenso wie Klassenkämpfer. Die einen sehen darin einen Ersatz für sämtliche Geld 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 Eine dialektische Erörterung schreiben Schritt 1: Planen Schreiben Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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