sprachreif HAK/HTL 4/5, Schulbuch
26 Geht das nicht auch auf Deutsch? Von Annika von Taube | 18.11.2014 Anglizismen sind etwas für faule Ignoranten, sie vergewaltigen die deutsche Sprache und treiben sie in den Tod. Unsinn. Im Gegenteil, Anglizismen verdienen einen Preis. Neulich hatten wir wieder so einen Fall. Da ha- ben wir einen Kommentar depublisht . Und unse- re Leser aus Transparenzgründen im Kommen- tarbereich darüber informiert, wir hätten einen Kommentar „unveröffentlicht“. Unveröffentlicht? Was ist das denn bitte für ein Wort, empörten sich Kommentatoren daraufhin. Unveröffentlichen, das meint das Zurückziehen eines bereits veröffentlichten Inhalts (zur Sicher- heit sei darauf hingewiesen, dass wir äußerst sel- ten Kommentare unveröffentlichen, nämlich nur dann, wenn es sich um Serien- Spam oder be- denkliche Nutzernamen handelt). Im Englischen gibt es ein klar verständliches Wort dafür: to de- publish . Das deutsche Wort klingt etwas unbeholfen. Aber würden wir das englische verwenden, wäre die Empörung noch viel größer. Wer auf eine an- dere Sprache als die eigene zurückgreifen muss, um sich auszudrücken, ist schlampig, faul oder beschränkt. So lautet zumindest die gängige Le- serkritik. Es gibt nichts, was sich in der deut- schen Sprache nicht ausdrücken ließe, das mag stimmen. Aber englische Begriffe sind oft so schön catchy , so on point . Und sie werden gerade in digitalen Umfeldern gern genutzt, wie die User unserer Community natürlich wissen. Der Begriff Crowdfunding zum Beispiel lässt sich auf Deutsch mit „Gruppenfinanzierung“ oder „Schwarmfinanzierung“ übersetzen. Dass er aber seinen Ursprung nicht nur im englischspra- chigen, sondern auch im digitalen Raum hat, geht bei der d e u t s c h e n Übersetzung v e r l o r e n : „Gr upp en f i n a n z i e - rung“ klingt nach ältli- chem Pro- vinzverein, Crowdfunding nach energetischem Start-up. Crowdfunding wurde 2012 zum „Anglizismus des Jahres“ gewählt. Selfies, Scoops und Social Freezing Seit 2010 bemüht sich Anatol Stefanowitsch, Professor für englische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin, um die Förderung eines positiven Blicks auf Anglizismen, indem er zur Wahl des „Anglizismus des Jahres“ aufruft. Diese Auszeichnung begreift Lehnwörter 1 nicht als sprachliche Mängel, sondern imGegenteil als Bereicherung unserer Sprache. Gewählt wird je- weils ein Lehnwort, das „im laufenden Jahr ins Bewusstsein und den Sprachgebrauch einer brei- ten Öffentlichkeit gelangt ist und eine interessan- te Lücke im deutschen Wortschatz füllt.“ Vorschläge einreichen kann jeder, die Auswahl erfolgt durch eine Fachjury von Sprachwissen- schaftlern. Über die laufenden Einreichungen (die aktuelle Nominierungsrunde endet am 15. Dezember 2014) informiert ein Blog. Ganz vorn 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 Hätte Fritz Lang „Metropolis“ nicht als Stummfilm inszeniert, hätte er möglicherweise Wort- neuschöpfungen und Lehnwörter gebraucht, um seine Zukunftsvi- sionen zu beschreiben. Mehr Anglizismen, please? Lesen Sie den folgenden Artikel zum Thema „Anglizismen“. Notieren Sie sich mögliche Antworten auf die Fragen am Ende des Artikels. Welche Anglizismen sind für Sie in Ihrem eigenen Sprachgebrauch schon selbstverständlich geworden? Erstellen Sie eine Liste. A47 Reflexion Medien 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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