sprachreif HAK/HTL 4/5, Schulbuch

207 Social Cooking statt Social Media: Die Roam-Bewohner bereiten gemeinsam den Lunch zu Was früher das Homeoffice war, heißt heute re- mote 4 . Nicht nur Freelancer 5 , sondern auch im- mer mehr Angestellte sitzen nicht mehr in einem Firmengebäude, sondern arbeiten aus der Ferne: Beim Medienunternehmen Buzzfeed sind es 50 Prozent; bei Mozilla, der Firma hinter dem Fire- fox-Browser, schon 60 Prozent; bei der Firma Automattic, der Gruppe hinter Wordpress, wäh- len alle über 400 Mitarbeiter ihre Arbeitsumge- bung selbst. Eine klassische Berufskarriere wirkt im Hubud wie ein antiker Ausgrabungsfund: historisch si- cher bedeutsam, aber aktuell nicht von Nutzen. Alle haben mehrere Jobs. Projekte, Einnahme- quellen. Schreibtische gibt es nicht, genauso we- nig Drucker oder Sitzungsräume. […] Manche Länder locken Freelancer gezielt an […] Es gibt Entwicklungs- und Schwellenländer, die westliche Freelancer und Start-ups gezielt an- locken, weil sie sich wirtschaftliche Impulse von ihnen erhoffen. Südkorea vergibt Förderstipen- dien; Chile lockt mit bis zu 40 000 US-Dollar Startkapital und einem einjährigen Arbeitsvi- sum. Bali hat all das nicht nötig. Die Leute kom- men von selbst. Die meisten mit einem Touris- tenvisum, mit dem sie 60 Tage im Land bleiben können, dann müssen sie ausreisen. Sogenannte Visa Runs, zweitägige Trips nach Singapur, Bang- kok oder Hongkong, gehören hier zum Alltag. Bei der Gelegenheit kann man auch gleich einen Vorrat an Kontaktlinsen und Tampons kaufen – Produkte, die es auf Bali nicht gibt. Yogalehrer, die man ohne Arbeitsvisum auf Bali erwischt, werden direkt zum Flughafen gefahren und in die nächste Maschine Richtung Heimat gesetzt. Manche Yogaschulen machen deshalb schnell dicht, wenn sich das Gerücht einer anste- henden Kontrolle herumspricht. Auch im Co- working Space Hubud kamen die Mitarbeiter der Immigrationsbehörde schon zu Besuch und fragten, was die Leute hinter den Bildschirmen mit den Kopfhörern eigentlich den ganzen Tag treiben. „E-Mails schreiben und Videos auf You- tube schauen“, sagte der Hubud-Chef, woraufhin sie zufrieden waren und wieder gingen. Seither werden die Westler mit den Notebooks wie Tou- risten behandelt. „Und jetzt sind wir Schmetterlinge“ Digitale Nomaden sind ein Phänomen, das die meisten Regierungen überfordert. Wo sollen die- se Personen sich registrieren? In welchem Land Steuern zahlen? Manche füllen die Steuererklä- rung ihres Herkunftslandes aus, andere die Sin- gapurs, manche keine. Georgio zahlt seine Steu- ern noch immer in England, auch weil er so seine Krankenversicherung behält. Estland bietet seit 2014 eine digitale Staatsbürgerschaft an, die „E-Residency“. Sie erlaubt es Staatenlosen, einen Steuerwohnsitz anzumelden, ein Konto zu eröff- nen, eine Firma zu gründen. Die Idee stammt vom estländischen Politiker Taavi Kotka, Mit- gründer des Internet-Telefonanbieters Skype. Steve Munroe, Chef des Coworking Space Hu- bud, treibt die Frage um, wie die Einheimischen von der Invasion der digitalen Nomaden profi- tieren könnten. Wie man einen Austausch an- regt, von dem beide Seiten etwas haben. „Wir Westler könnten natürlich regelmäßig den Strand von Abfall säubern“, sagt er, „aber das wäre, wie ein Waisenkind streicheln – ohne Ef- fekt.“ Seine Idee ist, dass die Westler gratis Web- sites für die lokale Bevölkerung programmieren. So würde das Know-how der digitalen Nomaden am wirkungsvollsten eingesetzt, und die Ge- schäfte der Einheimischen könnten professiona- lisiert werden. Er ist nur noch nicht sicher, wie er die Zusammenarbeit am besten koordiniert; er hat viele Jahre für die UNO gearbeitet und weiß, wie schwierig Entwicklungshilfe ist. Auf der Dachterrasse des Roam turnen in der ersten Reihe Georgio, David Kamp, ein Deut- scher, der gerade eine neue Schokoladenmarke aufbaut (nach Bier und Kaffee der nächste große Craft-Trend), und der kanadische Grafiker, der sein Geld größtenteils an der Wall Street gemacht hat. Es ist schon wieder unglaublich heiß, die Männer tragen Badehosen, der Schweiß tropft auf die Yogamatten. Konzentrierte Gesichter, verrenkte Körper, fast alle besuchen täglich Klas- sen, hier oder in einem der unzähligen Studios. „Und jetzt sind wir Schmetterlinge und fliegen 500 Meter weit“, sagt der philippinisch-kanadi- sche Maler. Die Beine im Schneidersitz angewin- kelt, wippen neun Paar Knie. „Und nun: glückli- che Babys.“ Auf dem Rücken liegend fassen alle mit den Händen die nackten Füße und rollen hin und her. Als sich der Himmel am Horizont hinter den 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 162 164 166 168 170 172 174 176 178 180 182 184 186 188 190 192 194 196 198 200 202 204 206 208 210 212 214 216 218 220 222 224 226 Reflexion Medien Sprach- reflexion Schreiben Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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