sprachreif HAK/HTL 4/5, Schulbuch

171 schaftliche Relevanz hat. Ich habe mich aber auf die Interaktionen mit der Öffentlichkeit und den Medien vorbereitet, versuche, Befürchtungen ernst zu nehmen, zu verstehen und auszuräu­ men. Ein bisschen bin ich stolz, dass von den gut tausend Berichten über unsere Arbeit damals nur ein einziger negativ war. Warum ist diese von Ihnen beschriebene Skepsis ausgerechnet in Deutschland und Österreich so stark ausgeprägt? Knoblich: Wahrscheinlich ist in den Kulturen beider Länder eine Skepsis gegenüber Verspre­ chungen tiefverwurzelt. Es hat mit einer Angst vor Genetik, vor Menschenoptimierungen zu tun. Jedes Weltuntergangsszenario, Fantasien, wir würden Gehirne bauen, die dann autonom Entscheidungen treffen, würde ich aber entschie­ den zurückweisen, weil wir mit den Hirnorga­ noiden weder irgendetwas versprechen noch Menschen optimieren wollen. Das dient aus­ schließlich der Forschung – um zum Beispiel die molekularbiologischen Vorgänge hinter der Epi­ lepsie besser zu verstehen. So konnte man diese Erkrankung noch nie studieren. Ich muss auch sagen: Selbst wenn es Wissenschafter gäbe, die damit Allmachtsfantasien verfolgen, was ich so gut wie ausschließen möchte: Jedes Experiment dieser Art muss nach strengen Richtlinien vorbe­ reitet und durchgeführt werden. Man braucht die Zustimmung von Patienten, die Zellen für die Forschung spenden, man muss es ihnen er­ klären, und man muss es ihnen gut erklären. Das kontrolliert eine Ethikkommission, die nicht nur aus Wissenschaftern, sondern auch aus Theolo­ gen und Laien besteht. Ist Österreich ein besonderer Fall von Zukunfts- vergessenheit? Knoblich: Es ist schon so, dass die Wissenschaft hierzulande, solange sie kein Geld bringt, nicht unbedingt oben auf der Agenda steht – das halte ich für problematisch. Der Trend ist auch in den USA, in Frankreich und England spürbar. Über­ all wird gekürzt. Hier wird noch nicht gekürzt, aber im Vergleich zu den Anforderungen viel zu wenig erhöht. Man denkt kurzfristiger und ver­ steht manches einfach nicht. Wenn man es global betrachtet, nimmt die Politik die Wissenschaft nicht so wichtig, aber zumGlück gibt es Wissen­ schafter, die den Mund aufmachen. Und zum Glück gibt es Schüler. Die sind sehr positiv ge­ genüber der Wissenschaft eingestellt und wollen genau wissen, wie man die Welt vielleicht ein Stück weit besser machen kann. Ist die Öffentlichkeit mit der Schnelligkeit der Technologieentwicklungen überfordert, oder wird es ihr nicht gut erklärt? Knoblich: In der Öffentlichkeit besteht große Angst vor der ferneren Zukunft. Es gibt ja Tech­ nologien […] um Gene aus- oder einzuschalten. […] Wenn es gelänge, Menschen genetisch zu verändern, wäre das schon ein Dammbruch. Das machen wir hier am Institut nicht, haben es auch sicher nicht vor. Ich glaube auch nicht, dass das in den nächsten zehn Jahren passieren wird. Aber es könnte in ferner Zukunft passieren, und da muss man sich jetzt Gedanken machen. Eine Diskussion darüber ist also gut und nützlich. […] Was sind die ethischen Probleme […]? Knoblich: Die zentrale Frage ist, ob und, wenn ja, wie man Lebewesen genetisch verändern kann. Es ist […] möglich, dass wirklich alle Nachkommen dieser Lebewesen diese Verände­ rungen in sich tragen. Das nennt man GeneDri­ ve. Technisch ist das möglich, wird auch unter enormen Sicherheitsvorkehrungen versuchswei­ se gemacht, die Frage ist, ob man das will und welche Folgen das auf das Ökosystem haben kann. Ein Beispiel: Wir würden niemals alle Gel­ sen so verändern, dass sie uns nicht mehr ste­ chen. Da wäre uns das Umweltrisiko zu groß. Würden wir aber in einem Land leben, in dem jedes Jahr tausend Kinder an Malaria sterben, würden wir vielleicht anders darüber denken. Das kann kein Staat für sich allein regeln, da braucht man Regeln für die ganze Welt. Und da­ mit ist noch nicht einmal die größte bioethische Frage aufgeworfen: Darf man […] in das menschliche Erbgut eingreifen? Wie denken Sie darüber? Knoblich: Ich sehe kurzfristig keine Notwendig­ keit dafür. Es gibt Erbkrankheiten, die man nur so behandeln könnte, es sind aber sehr wenige und wir sind uns derzeit über potenzielle Neben­ wirkungen und die gleichzeitig möglichen schädlichen Mutationen nicht im Klaren. Wenn wir aber an die Welt in 50 Jahren denken, dann ist das anders. Dann möchte ich meine Kritik an der zentraleuropäischen Einstellung, besser alles so zu belassen, wie es ist, wiederholen: Diese Ein­ 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 Schreiben Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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