sprachreif HAK/HTL 4/5, Schulbuch

165 Großes ß: Der heikle Job der Sprachpolizei Von Franziska Dzugan | 27.07.2017 Der Rat der deutschen Rechtschreibung hat kürzlich die deutsche Orthografie sanft reformiert. Wo aber versteckt sich das große scharfe ß auf der Computertastatur? Ist „Mayonnaise“ wirklich besser als „Majonäse“? Und warum dürfen wir nicht mehr „Roulett“ spielen? 9 Fragen zum heiklen Job der Sprachpolizei. Linguisten sind immer auf der Pirsch, auch wenn das Hirschgulasch schon fertig vor ihnen auf dem Teller liegt. Serviert der Kellner dazu einen Apfelsaft, auf dessen Flasche in Versalien 1 das Wort „FRUCHTSÜßE!“ prangt, ist das definitiv ein guter Tag für einen Sprachwissenschafter. Die Dessertkarte birgt ebenfalls Glücksmomente: „WALDBEERKOMPOTT mit WEIßER SCHO­ KOLADE“. Dann erreicht ihn womöglich noch die Einladung eines Kollegen zur Vortragsreihe „LUTHERS GROßES ERBE“. Den perfekten Ausklang liefert der „ARD-Report“ mit der Ein­ blendung „Nikola Poposki, AUßENMINISTER MAZEDONIEN“. Im Fadenkreuz des peniblen Buchstabenjägers: das große scharfe ß, das es eigentlich noch gar nicht gibt. Wer schreibt es wie? Groß? Klein? Oder streng nach Vorschrift, ersetzt durch ein Doppel-S? Die Beute des Linguisten landet schließlich, fein säuberlich abfotografiert und geordnet, imArchiv des Rats für deutsche Recht­ schreibung. Nach zehn Jahren intensiver Jagd- und Sammeltätigkeit zahlreicher deutschspra­ chiger Linguisten und anderer Sprachbegeisterter verkündete der Ratsvorsitzende Josef Lange ver­ gangenen Juni, die Verwendung des Großbuch­ stabens „ß“ sei neben „SS“ ab sofort erlaubt. Der oberste Sprachpolizist aus Mannheim hat keine geringere Aufgabe, als den „Sprachfrieden“ zu erhalten. Welche Aufgabe haben Sprachpolizisten? Arbeiten, und zwar als Linguist, Lehrer, Schrift­ steller, Verleger oder Journalist. Die Sprachbeob­ achtung ist für die meisten Ratsmitglieder ein Ehrenamt. Jutta Ransmayr ist Sprachwissen­ schafterin amAustrian Centre for Digital Huma­ nities der Österreichischen Akademie der Wis­ senschaften (ÖAW), Lehrerin in einem Gymnasium und Ratsmitglied. Ihr Institut liefert Schreibanalysen aus Österreich nachMannheim, und zwar aus der Datenbank „Austrian Media Corpus“. Darin finden sich sämtliche digital ver­ fügbaren Pressemeldungen der Austria Presse Agentur, fast alle Inhalte der Tages- und Wo­ chenzeitungen sowie Transkripte österreichi­ scher TV-Nachrichtensendungen. Wie entscheidet der Rechtschreibrat? Bei ihren halbjährlichen Sitzungen diskutierten die 39 Mitglieder aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein, Südtirol und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens sehr sachlich, berichtet Linguistin Ransmayr. Eigent­ lich könnte manmeinen, das Gremium inMann­ heim stelle die Regeln auf, und der Rest der Welt halte sich daran. Tatsächlich ist es in den meisten Fällen umgekehrt. In Arbeitsgruppen diskutiert der Rat, wie die Welt draußen die Orthografiere­ geln anwendet – und passt sie gegebenenfalls der Praxis an. Der Großbuchstabe ß wurde erlaubt, „weil er insbesondere für die korrekte Schrei­ bung von Eigennamen in Pässen wichtig ist“, so der Rat. Wie findet man ein großes scharfes ß auf der Tastatur? Bisher gar nicht. Auf dem PC erzeugt man den Buchstaben, indem man Alt Gr, Shift und ß drückt. Mac-Usern bleibt nur die Möglichkeit, eine bestimmte Zeichenkombination für den Buchstaben festzulegen oder ihn aus dem Inter­ net zu kopieren. ImDeutschen Institut für Normung (DIN) berät man derzeit über den künftigen Platz des großen scharfen ß auf der Tastatur. Dem deutschen Her­ steller Cherry zufolge dürfte es wohl keine zu­ sätzliche Taste geben, das Grad-Symbol am lin­ ken Rand neben der Ziffer eins könnte dem ß aber möglicherweise weichen. Oder es kommt 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 Schreiben Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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