sprachreif HAK/HTL 4/5, Schulbuch
13 Weder er noch sie: Schwedens geschlechtsneutrales Pronomen „hen“ KOPF DES TAGES von Noura Maan | 06.03.2016 Die Mischform kann verwendet werden, wenn das Geschlecht irrelevant oder unbekannt ist – und wenn Personen keinem Geschlecht zugeordnet werden wollen oder können. Ist Kivi nun ein Bub oder ein Mädchen? Das war die bren- nende Frage, als 2012 in Schwe- den das Kinderbuch Kivi und der Monsterhund von Jesper Lundqvist erschien. Der Autor hatte die Hauptfigur mit dem Pronomen „hen“ bezeichnet: ei- ner Mischform aus „han“ (er) und „hon“ (sie), die verwendet werden kann, wenn das Ge- schlecht irrelevant oder un bekannt ist – aber auch wenn Personen keinem Geschlecht zugeordnet werden wollen oder können. […] Die Inspiration kam aus dem Finnischen, wo – wie in einigen anderen Spra- chen – bei den Pronomen kein Unterschied zwischen männ- lich und weiblich gemacht wird. […] Um die Jahrtausendwende wurde es dann vor allem von queer-feministischen Kreisen aufgegriffen, um die binäre 1 Ge- schlechterordnung infrage zu stellen. Für große Aufregung sorgte das Pronomen aber durch Lundqvist, der mit der Verwendung in seinem Kinder- buch den Anstoß für eine tiefgreifende Debatte über Geschlechtersensibilität in Schweden lieferte. Einige warn- ten vor „jugendgefährdender Gender-Hysterie“, andere be- fürchteten die völlige Abschaf- fung der Kategorie Geschlecht in der schwedischen Gesell- schaft. Die rechten Schweden- demokraten stellten klar, „hen“ nie verwenden zu wollen. Doch das Wort war bereits auf dem Vormarsch und verbreitete sich vor allem in Teilen der jungen und urbanen Bevölkerung. Auf diese Entwicklung reagierte man schließlich offiziell: ImAp- ril 2015 wurde „hen“ in die „Svenska Akademiens Ordlis- ta“, vergleichbar mit dem Du- den, aufgenommen. Eine Ver- pflichtung, es zu verwenden, gibt es freilich nicht. Heute fin- det man „hen“ täglich in Zei- tungen, sieht es in Werbungen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch Universitäten, Schulen und Kindergärten setzen ver- stärkt auf den Gebrauch des Wortes. Oft erntet man dafür noch böse Blicke. Die große De- batte darüber ist aber ver- stummt. Ob so etwas auch im Deutschen möglich wäre? Im Gegensatz zur deutschen Spra- che erkennt man im Schwedi- schen das Geschlecht nur am Pronomen, bei den meisten Hauptwörtern wird nicht zwi- schen männlicher und weibli- cher Ausprägung unterschie- den: Günstigste Voraussetzung also für eine Diskussion über gendergerechte Sprache, die sich nicht in Details verliert – und bei der klar ist, dass es mehr um ein politisches State- ment geht als um Grammatik. QUELLE: derstandard.at/2000032304223/Weder-er-noch-sie-Schwedens-geschlechtsneutrales-Pronomen-hen ; (abgerufen am 24.07.2017) 1 nur aus zwei Elementen bestehend 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 Merkenswert: Tatsächlich kommen mehr als die Hälfte aller Sprachen dieser Welt ohne Genus, also ohne grammatikalisches Geschlecht, aus. Das bedeutet, dass diese Sprachen, zu denen u. a. Türkisch, Vietnamesisch, Baskisch, Thai, Koreanisch, Japanisch, Finnisch oder auch Ungarisch gehören, geschlechtergerecht konzipiert sind und so weder Femininum, Neutrum und/oder Maskulinum „diskriminieren“ (= unter- scheiden). Aber natürlich sind dennoch vorurteilsbehaftete Denkmuster vorhanden. 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 Lesen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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