sprachreif HAK/HTL 3, Schulbuch
7 Lesen Sie den Auszug aus dem Buch Ich bin, was ich darf von Volker Kitz, der im Magazin Spiegel ONLINE veröffentlicht wurde. Notieren Sie in Stichworten •• den Unterschied zwischen Meinung und Tatsachenäußerung, •• die im Text genannten Kriterien für Beleidigungen, •• welche Kriterien gelten, wenn der Meinungsfreiheit Grenzen gesetzt werden (müssen). A2 Das wird man doch wohl mal sagen dürfen − oder? Von Volker Kitz | 03.02.2016 Was darf man sagen, wo verläuft die Grenze zu Beleidigung oder Volksverhetzung? […] „Soldaten sindMörder.“ So steht es auf dem Aufkleber am Auto eines Studenten. Das „t“ in „Soldaten“ sieht aus wie ein Friedhofskreuz, darunter: eine nachgemachte Unterschrift des Schriftstellers Kurt Tucholsky, von dem dieser Satz ursprüng- lich stammt. Während des Golfkriegs 1991 fährt der Stu- dent damit durch Krefeld 1 . Bald bekommt er Post: Er soll wegen Volksverhetzung und Beleidigung bestraft werden. Der Student wehrt sich, geht bis vors Bundesverfassungsgericht und beruft sich auf die Mei- nungsfreiheit: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, so steht es in Artikel 5 Absatz 1 des Grundge- setzes. Das Bundesverfassungsgericht hebt seine Verurteilung tatsäch- lich auf. Die Entscheidung löst Tumulte im ganzen Land aus: Morddrohungen gegen die Richterinnen und Richter. Poli- zeischutz. Politiker empören sich: „Skandalösestes Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts seit Bestehen der Bundesrepu- blik!“ Soldaten der Bundeswehr sehen sich diskreditiert. Auch heute fragen sich oftMen- schen, wenn sie einen Kom- mentar lesen, dem sie nicht zu- stimmen: „Wie kann diese Internetseite oder Redaktion so etwas stehen lassen?“ Oder: „Wie kann eine Behörde eine Demonstration mit einer sol- chen Aussage zulassen?“ […] Damals wie heute liegen der Aufregung Missverständnisse über die Meinung und ihre Grenzen zugrunde. Was ist eine Meinung? Eine Meinung gibt ein persönliches Werturteil wieder. Das wesent- liche Merkmal der Meinung ist: Sie kann nicht „richtig“ oder „falsch“ sein, man kann sie nicht überprüfen. Das unter- scheidet die Meinung von der Tatsachenbehauptung. Sage ich: „Mein Nachbar prügelt seinen Hund“, lässt sich diese Äuße- rung überprüfen, ist also eine Tatsachenbehauptung. Sage ich hingegen: „Der Lebenswandel meines Nachbarn ist inakzepta- bel“, lässt sich das nicht über- prüfen. Andere können das anders sehen. Es ist eine Mei- nungsäußerung. Dabei müssen wir den Zusam- menhang einer Aussage be- rücksichtigen. Da der oben ge- nannte Student rechtlicher Laie war, benutzte er „morden“ nicht im strafrechtlichen Sinn, son- dern umgangssprachlich, als wertendes Wort für den neutra- len Begriff „töten“. Er äußerte damit eine Meinung, nämlich: Ich verabscheue, dass Soldaten Menschen töten. […] Nicht immer kann man Mei- nung und Tatsachenäußerung sauber voneinander trennen, denn wir bilden uns Meinungen aufgrund von Tatsachen. „Mör- der“ enthält auch die Tatsa- chenbehauptung, dass jemand andere tötet. […] Deshalb kann auch eine Tatsachenbehauptung von der Meinungsfreiheit um- fasst sein, wenn sie an der Mei- nung „hängt“. Wer aber Tatsa- chen verbreitet, die eindeutig unwahr sind, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit beru- fen. Er kann sich zum Beispiel wegen Verleumdung oder übler Nachrede strafbar machen. Die Meinungsfreiheit hat Gren- zen. Sie kann durch Gesetze be- schränkt werden, die zum Bei- spiel die Ehre schützen. Ein solches Gesetz ist der Beleidi- gungsparagraf. […] Aber wann ist die Ehre ei- nes Menschen verletzt? Die Meinungsfreiheit bringt es mit sich, dass nicht alle Menschen sich gegenseitig gut finden müs- sen. Wir dürfen eine miserable Meinung voneinander haben und verbreiten: ein Blauäugiger über Braunäugige, ein Muslim über eine Katholikin, eine Frau über Männer und ein Student über Soldaten. […] Die Grenze zwischen Mei- nungsfreiheit und Beleidigung 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 Lesen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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