sprachreif HAK/HTL 3, Schulbuch

129 Was ist eigentlich Hermeneutik? Wie schwer ist es doch, zu verstehen … Die Ge- setze der Welt, was ein Elfmeter ist, warum das Konto schon wieder überzogen und die Banane krumm ist. „Du verstehst mich einfach nicht!“ − das hat mancher schon mal von seinem Part- ner gehört und damit ist nicht die schlechte Handyverbindung gemeint. Verstehen ist eine Kunst! Und eine Wissenschaft für sich. Damit sich das auch so anhört, dachten sich die Gelehrten einen schicken Namen aus: Hermeneutik. Der Name leitet sich von einem ganz besonders flinken Griechen ab: Hermes. Im Gegensatz zu heute hat der aber keine Pakete ausgeliefert, sondern göttliche Nachrichten überbracht. Und weil die Götter immer nur un- verständliches Fachchinesisch – oder besser Fachgriechisch – von sich gaben, war es nicht nur Hermes‘ Aufgabe, diese Botschaften zu überbringen, sondern sie auch zu deuten. In der Philosophie bedeutet die Hermeneutik das Ver- stehen von Sinnzusammenhängen in menschli- chen Lebensäußerungen aller Art. Sie hilft, die Fehler der Kommunikation aufzuzeigen und wenn möglich zu umschiffen. Denn wir meinen ja nicht immer, was wir sagen! Diese psychologische Ebene wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Deutschen Wilhelm Dilthey noch verfeinert. Für besonders wichtig hielt er die Situationen und Einflüsse, die unse- ren Verfasser geprägt haben. Denn es ist ein Un- terschied, ob ein Tourist, der auf der Suche nach der nächsten Frittenbude ist, sagt: „Ich bin am Verhungern“ oder ein afrikanisches Kind aus der Sahel Zone 1 ! Allerdings kann das dazu führen, dass wir plötzlich glauben, den Autor besser ver- stehen zu können, als er sich selbst ... Und das führt bei Gadamer − Nein, das ist kein holländi- scher Stinkekäse, sondern Hans-Georg − dazu, dass er die Lehre quasi umdrehte. Hermeneutik ist für Gadamer mehr Geschehen als Verstehen. Sie ist die besondere Art und Weise, in der Über- lieferungen, Traditionen und Werte erhalten und weiterentwickelt werden. Durch das Lesen und Auslegen von überlieferten Texten, vor al- lem auch durch ihre Neuinterpretation, können wir wertvolle Erkenntnisse für die Gegenwart gewinnen. Damit hört der Prozess des Verstehens nie auf. Wir schon! Und zwar jetzt. QUELLE: http://www.3sat.de/page/?source=/ philosophie/159973/index.html ; (abgerufen am 27.06.2017) ¹ langgestreckte Übergangszone zwischen der Wüste Sahara und der Trocken- bzw. Feuchtsavanne in Afrika Diskutieren Sie folgende Fragen in Bezug auf den Artikel zur Hermeneutik: •• Welche Funktionen erfüllt dieser Text? •• Welche Intention vermuten Sie bei der Verfasserin oder dem Verfasser? •• Wie informativ ist der Text? Recherchieren Sie online, wer die beiden für die Hermeneu- tik bedeutenden Persönlichkeiten Wilhelm Dilthey und Hans-Georg Gadamer sind. Fassen Sie Ihre Ergebnisse auf jeweils einem A4-Blatt in eigenen Worten zusammen. Bauen Sie auch ein, welchen Beitrag zur Entwicklung der Hermeneutik die beiden geleistet haben. Information und Unterhaltung Wie schon in der Betrachtung der Hermeneutik klar geworden ist, sind Texte selten völlig eindeutig. Im Bereich der unterhaltenden Literatur mischen sich oft die Textfunktionen „unterhalten“ und „informieren“. Insbesondere bei humoristischen Texten kann es uns als Leserinnen und Lesern schwerfallen, diese beiden Bereiche klar voneinander zu trennen. Merkenswert: Hermeneutik Der Begriff „Hermeneutik“ bedeutet mithilfe verschiede- ner Zugänge zu versuchen, Texte und die Absichten, die dahinterstehen, zu verstehen und dieses Verständnis für eine Deutung zu nutzen. A12  B A13  Ó 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 Lesen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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