sprachreif HAK/HTL 3, Schulbuch

110 YouTube, so Drotschmann, schließe eine Lücke, die das reguläre Fernsehen nicht bedient: „Die Fernsehbeiträge für Teenies sind meist reines Entertainment. Für Informationen gibt es bei uns nur die Kindernachrichten mit einer Ziel­ gruppe bis zu zwölf Jahren und dann die norma­ le Tagesschau.“ Erwachsenen-Nachrichten aber setzten viel Wissen voraus: „Was ist los in Syrien und wie kam es eigentlich zur Griechenlandkri­ se? Solche Inhalte möchte ich leicht verständlich und mit Biss vermitteln“, erklärt Drotschmann. Auf sein Bestreben hin eröffneten die Fernseh­ sender ZDF und ARD (Durchschnittsalter der Zuseher: 60 Jahre) einen eigenen, zielgruppenge­ rechten YouTube-Kanal. Der Großeintritt in die Öffentlichkeit erfolgte je­ doch spätestens, als Angela Merkel auf das von der Politik ungenutzte YouTube-Potenzial auf­ merksam wurde. Um bei den rund acht Millio­ nen als weitgehend politisch unerreichbar gel­ tenden 15- bis 24-Jährigen in ihrem Land anzudocken, trug die deutsche Kanzlerin dem YouTuber LeFloid im Juli dieses Jahres an, sie zu interviewen. Mit bescheidenem Erfolg für den jungen Mann – er erntete für seine sanfte Vorge­ hensweise massenhaft Kritik –, aber stolzem Er­ gebnis für die Kanzlerin: Bislang sahen sich vier Millionen Menschen das Interview im Internet an. Damit scheint die Berührungsangst zwischen Politik und YouTube gebrochen. Ende Septem­ ber startet nun ein Projekt der deutschen Bun­ deszentrale für politische Bildung: junge YouTu­ be-Größen, darunter MrWissen2go und Le Floid, nutzen ihre Internetpräsenz, um der wach­ senden IS-Propaganda im Netz entgegenzutre­ ten. Auch Ben Bode hat sich der Allgemeinbildung seiner Zuseher verschrieben. Seinen Informati­ onskanal „So und So gesehen“ hat der studierte Philosoph aus einem gefühlten Bildungsauftrag begonnen: „Junge Menschen informieren sich fast ausschließlich über YouTube; da ist es wich­ tig, einen Gegenpol zu den hetzerischen Ver­ schwörungstheorie-Programmen zu setzen. Wir erreichen damit Leute, die sonst von niemandem mehr erreicht werden.“ Der 28-jährige Kölner möchte der nächsten Ge­ neration das Bewusstsein mitgeben, dass es „im­ mer mehr Facetten gibt als Schwarz und Weiß und dass es auch okay ist, nicht immer eindeuti­ ge Antworten zu haben. Demut vor der Komple­ xität macht immun gegen allzu einfache Wahr­ heiten.“ YouTube ist keineswegs ein leichtes Format für Wissensvermittlung. Allzu ernsthafte und jour­ nalistische Beiträge stoßen auf Desinteresse, be­ merkte Drotschmann: „Es besteht die Gefahr, dass wir immer amerikanisierter in der Bericht­ erstattung werden – lauter, bunter, schriller und dabei persönliche Meinung kaum von objektiven Fakten trennen.“ Werden die Videos zu lange und somit nicht zu Ende angesehen, kehrt sie der gnadenlose Google-Algorithmus unter den Tep­ pich. Die Konsequenz: Selbst komplexe Themen müssen auf die Maximalaufmerksamkeitsspanne von drei bis sechs Minuten heruntergebrochen werden. Erschwerend käme der „extreme Personenkult“ auf YouTube hinzu. „LeFloid kann erzählen, was er will, seine Fans feiern das ab“, weiß Bode. „Welch unglaublichen Einfluss die Blogger dabei auf die sehr junge Zielgruppe haben, ist vielen vielleicht nicht ganz klar.“ So kann der Schuss schon mal nach hinten losge­ hen, wenn berühmte YouTuber beschließen, po­ litisch zu werden – etwa 2014, als der damals 20-jährige „Dner“, der seine 1,5 Millionen Fans hauptberuflich mit Computerspielen unterhält, unvermutet tönte, die rechtsradikale Partei AfD wählen zu wollen. Oder der 18-jährige YouTuber „Clemens Alive“, der vor einiger Zeit der Idee, dass die Gleichschaltung der Medien existiert, und diese nun unter seinem Publikum propa­ giert. In den meisten Fällen fungiert die Plattform als Korrektiv: Einer verbalen Entgleisung eines Bloggers im Zusammenhang mit dem deutschen Bahnstreik – er hatte gemeint, er würde die Bahnfahrer gerne nach Auschwitz fahren – wur­ de intensiv auf YouTube entgegengehalten und das Thema von anderen Videobloggern aufge­ nommen. „Doch je stärker die Öffentlichkeit von YouTube zunimmt, desto mehr entsteht Be­ wusstsein für das, was hier ausgelöst werden kann“, meint Ben Bode. „Auf kurz oder lang müssen Strukturen geschaffen werden, die ein Einschreiten erlauben. Im Moment geht es hier wie imWilden Westen zu.“ QUELLE: https://www.profil.at/portfolio/wie-youtuber-blogger-ihre-fans-beeinflussen-5859386 ; (abgerufen am 02.10.2017) 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 Schreiben 3  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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