sprachreif HAK/HTL 2, Schulbuch

52 Aufruf an alle Deutsche ! Der Krieg geht seinem sicheren Ende entgegen. Wie im Jahre 1918 versucht die deutsche Regierung alle Aufmerksamkeit auf die wachsende U-Boot-Gefahr zu lenken, während im Osten die Armeen unaufhörlich zurückströmen, im Westen die Invasion erwartet wird. Die Rüstung Amerikas hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, aber heute schon übertrifft sie alles in der Ge- schichte seither Dagewesene. Mit mathematischer Sicherheit führt Hitler das deutsche Volk in den Abgrund. Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern! Seine und seiner Helfer Schuld hat jedes Maß unendlich überschritten. Die gerech- te Strafe rückt näher und näher! Was aber tut das deutsche Volk? Es sieht nicht und es hört nicht. Blindlings folgt es seinen Verführern ins Verderben. Sieg um je- den Preis! haben sie auf ihre Fahne geschrieben. Ich kämpfe bis zum letzten Mann, sagt Hitler – indes ist der Krieg bereits verlo- ren. Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist? Wollt Ihr mit dem gleichen Maße gemessen werden wie Eure Verführer? Sollen wir auf ewig das von aller Welt gehasste und ausgestoßene Volk sein? Nein! Darum trennt Euch von dem nationalsozialistischen Untermen- schentum! Beweist durch die Tat, dass Ihr anders denkt! Ein neu- er Befreiungskrieg bricht an. Der bessere Teil des Volkes kämpft auf unserer Seite. Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, eh’ es zu spät ist! Glaubt nicht der nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewistenschreck in die Glieder gejagt hat! Glaubt nicht, dass Deutschlands Heil mit dem Sieg des Nationalsozialismus auf Gedeih und Verderben verbunden sei! Ein Verbrechertum kann keinen deutschen Sieg erringen. Trennt Euch rechtzeitig von al- lem, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt! Nachher wird ein schreckliches, aber gerechtes Gericht kommen über die, so sich feig und unentschlossen verborgen hielten. Was lehrt uns der Ausgang dieses Krieges, der nie ein nationaler war? Der imperialistische Machtgedanke muss, von welcher Seite er auch kommen möge, für alle Zeit unschädlich gemacht werden. Ein einseitiger preußischer Militarismus darf nie mehr zur Macht gelangen. Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neu- er Aufbau möglich sein wird. Jede zentralistische Gewalt, wie sie der preußische Staat in Deutschland und Europa auszuüben ver- sucht hat, muss im Keime erstickt werden. Das kommende 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 Anrede: Beachten Sie, dass niemand ausgeschlossen wird. Einleitung: Erklärung des Ist-Zustandes mit eindeutiger Schuldzuweisung; die unausweichlich scheinende Folge wird bereits angedeutet Die Leserschaft soll aufgerüttelt werden, sie wird nicht aus der Verantwortung genommen. Wieder direktes Ansprechen des Publikums; drei rhetorische Fragen führen in einer Klimax zur offensichtlichen Antwort, die im programmatischen Zusammen- hang gegeben werden muss. Aus der Ablehnung folgen an das Publikum gerichtete Imperative, der lange appella- tive Absatz zeigt die Wichtigkeit der Zusammenarbeit. Lehren, die für die Zukunft gezogen werden sollen: Indirekt unterstreichen die Verfasser damit ihre Überzeugung, dass es nur mehr eine Frage der Zeit ist, bis das Dritte Reich untergeht. Lesen 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=