sprachreif HAK/HTL 2, Schulbuch

157 Künstler. Proben haben einen sehr intimen Cha- rakter. Was auf der Probe passiert, bleibt für die Öffentlichkeit mit gutemRecht unzugänglich. Es würde demTheater nicht nur einen Teil des Ge- heimnisvollen nehmen. Ich frage mich, wie es sich für Schauspieler und Regisseure anfühlt, un- ter ständiger Beobachtung zu stehen. Was wür- den Sie sagen, wenn Sie während Ihrer Arbeit von einer unbestimmbaren Anzahl von Men- schen beobachtet werden könnten? Selbstver- ständlich werden Schauspieler auch während den Vorstellungen stets angeschaut, aber die Pro- ben sollen eine Zeit des Ausprobierens sein – im geschützten Raum. Es ist ein reizvoller Aspekt, Menschen in der ganzen Welt zu erreichen. Als das Rostocker Volkstheater 2011 wegen Brandschutzproble- men mehrere Wochen schließen musste, wurde Fontanes „EffiBriest“ trotzdem die erfolgreichste Premiere in der Geschichte des Theaters – mit leeren Rängen, aber mehr als 4000 Zuschauern per Live-Übertragung im Internet: in Schweden, den USA, Kanada und den Philippinen. In Ulm werden schon seit 2012 Vorführungen von der Bühne gestreamt. Doch viele, vor allem kleine Theater haben weder die finanziellenMittel noch das Fachpersonal für eine solche Übertragung. Andererseits ist ein Theaterabend an sich ja schon eine Kostenfrage. Die Karten sind oft nicht gerade günstig, dazu kommen bei längerer An- fahrt teils hohe Kosten, eventuell auch noch für eine Übernachtung. Für Kritiker, Theaterfans und -schaffende ist die Live-Stream-Option eine vielversprechende Idee, um zu sehen, was und wie in anderen Städten gespielt wird. Zudem ist die Möglichkeit, sich eine Inszenierung kosten- frei im Internet anzusehen, für Menschen mit geringem Einkommen oder auch Studenten at- traktiv. Für mich kommen hier aber noch weitere Fragen auf. Wie bezahlt man die Künstler noch ange- messen, wenn man die Vorstellung für eine un- bestimmte Zahl an Zuschauern kostenfrei zu- gänglich macht? Wie steht es umRechte-Fragen? Allgemeiner gefragt: Wie wird sich das Theater weiterhin finanzieren, wenn es immer mehr kos- tenlose Live-Übertragungen gibt und die Zu- schauer nicht mehr im Zuschauerraum, sondern zu Hause vor dem Rechner sitzen? Ist dies der Vorbote eines Massensterbens von Theatern, wenn der „FAZ“-Theaterkritiker Gerhard Stadel- meier vor einer „Theaterzerstörung ganz eigener Art“ warnt? Natürlich könnte man behaupten, dass die Live-Stream-Option die Möglichkeit bietet herausfinden, ob sich die Anfahrt für ein Stück wirklich lohnt oder ob nur der Text im Spielplan und der Trailer so vielversprechend aussehen. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass viele, die sich die Vorstellung via Internet angesehen haben, dafür noch ins Theater gehen, nur um sie noch einmal in der typischen Thea- ter-Atmosphäre zu erleben, die das Internet nicht leisten kann. Meiner Ansicht nach bringt die Live-Stre- am-Übertragung von Theatervorstellungen das Theater um seine Exklusivität. Ich empfinde die- se Möglichkeit als eine Mischung aus Film und Theater, bei der man jedoch weder dem einen noch dem anderen gerecht wird. ImHinblick auf Festivals und Festspiele wie Foreign Affairs, also ein kurzzeitiges Ereignis mit einmaligen Auffüh- rungen und Gastspielen, glaube ich, dass die Möglichkeit eines Live-Streams vor allem für in- ternationale und junge Künstler und Autoren attraktiv sein könnte, um sich einem breiteren Publikum präsentieren zu können. Für das tradi- tionelleTheater mit seinemRepertoire-Spielplan empfinde ich diese Option eher als unpassend. Vereinzelt, als Zusatzangebot, mag es reizvoll wirken. Als Dauerware eingesetzt, bin ich mir nicht sicher, ob man über eine Live-Stream- Übertragung Menschen auf lange Frist für das Theater gewinnen kann. In Sachen Nachwuchs- gewinnung braucht es meiner Meinung nach mehr, um die Jugend ins Theater zu bringen und sie dafür zu begeistern – angefangen bei Lehrplä- nen, Pflichtlektüren und Unterrichtsgestaltung, um nur ein paar Aspekte zu nennen. Ich finde, Theater braucht dieses gewisse Theaterfeeling, das man nur live im Zuschauerraum und nicht vor dem Bildschirm bekommt – das sollen auch die Jugendlichen erfahren. Für mich kann kein Live-Stream dieses Erlebnis ersetzen. Denn wenn ich eineTheaterinszenierung sehen möch- te, will ich Zuschauer sein und kein „User“. Larissa Vivien Besler studiert an der Leuphana Universität in Lüneburg und nimmt an „Student Affairs 2015“ beim Festival „Foreign Affairs“ teil. QUELLE: https://blog.berlinerfestspiele.de/einmalige-chance-oder-zerstoerung-des-theaters/ ; (abgerufen am 19.04.2017) 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 Eine Erörterung schreiben Schritt 1: Planen Schreiben Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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