sprachreif HAK/HTL 2, Schulbuch

101 nicht erst antreten müssten. Aber welche Optio- nen gibt es? Fluchtursachen bekämpfen ist wich- tig, braucht aber Zeit. Davon haben die Men- schen, die jetzt schon auf der Flucht sind, nichts. Die zweite Option: Flüchtlinge in Libyen abfan- gen, bevor sie in See stechen. Das versucht die EUmomentan und zahlt dafür Millionenbeträge an die libysche Regierung. Aber damit kauft sie sich aus der Verantwortung: Die Küstenwache Libyens ist nicht gerade ein zu- verlässiger Partner, sie soll schon auf Flüchtlings- und Rettungsboote geschossen haben. Und selbst wenn sie Flüchtlinge aufnimmt und zurück nach Libyen bringt, hört da das Elend nicht auf: Das Hilfswerk Oxfam berichtet von Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit in liby- schen Flüchtlingslagern. Außerdem handeln Rettungsboote von Hilfsor- ganisationen nach der international anerkannten UN-Seerechtskonvention: Danach müssen (!) Schiffsbrüchige gerettet und in den nächsten si- cheren Hafen gebracht werden. Diese Regel ver- sucht die libysche Regierung über ihr Hoheits- gebiet hinaus außer Kraft zu setzen. Das sollte einen Aufschrei zur Folge haben. Doch die EU nimmt es hin, solange ihr Libyen die Flüchtlinge vom Hals hält. Kontra private Seenotrettung – Schleuser-Ge- schäfte werden befeuert Von Vera Dreckmann, WDR Die Zahlen sprechen für sich: Seit Anfang 2017 sind rund 110.000 Flüchtlinge nach Europa ge- kommen, noch nie wurden auf der Strecke zwi- schen Nordafrika und Italien mehr Bootsflücht- linge gezählt. Hilfsorganisationen haben Tausende aus dem Meer gerettet, um sie vor dem Ertrinken zu be- wahren. Das mag auf den ersten Blick mensch- lich geboten sein, doch auf den zweiten Blick ist es genau diese Hoffnung auf Rettung, die viele Flüchtlinge aus Westafrika nach Libyen treibt. Wenn Hilfsorganisationen Flüchtlinge in Seenot retten, dann feuern sie ungewollt das Geschäfts- modell der Schleuser an. So ist ein milliardenschwerer Markt für Schlep- perbanden entstanden. Nach Schätzungen ver- dienen sie in Libyen pro Jahr bis zu 1,5 Milliar- den US-Dollar. Die Grenzschutzorganisation Frontex hat beobachtet, dass die Schlepper die Boote absichtlich so schlecht ausrüsten, dass sie gerade genug Treibstoff haben, um die Küstenge- wässer zu verlassen, wohlwissend, dass dort die Rettungsschiffe patrouillieren und auf die Flüchtlingsboote warten. Wenn wir also das skrupellose Vorgehen der Schlepper unterbinden wollen, dann bleibt nichts anderes übrig, als die Arbeit der Hilfsor- ganisationen auf hoher See zu beschränken. Dazu kommt noch ein handfestes juristisches Problem. Die wenigsten Flüchtlinge haben in Europa eine echte Bleibeperspektive. 90 Prozent der Migranten, die aus Libyen nach Italien oder Spanien kommen, haben keine Chance, in Eu- ropa als Asylbewerber oder Flüchtling anerkannt zu werden. Das heißt, diese Menschen machen sich vollkommen umsonst auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Wenn man den Flüchtlingen wirklich helfen will, muss man deren Situation in ihren Heimatlän- dern verbessern, damit sie dort ein menschen- würdiges Leben führen können. Hier ist Europa in der Pflicht, indem die EU zum Beispiel für fairere Handelsbeziehungen sorgt und damit die wirtschaftliche Lage Afrikas deutlich verbessert. QUELLE: http://www.tagesschau.de/kommentar/seenotrettung-pro-kontra-101.html ; (abgerufen am 06.04.2018) 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 Infobox NGO: Abkürzung für non-governmental organization, Nichtregierungsorganisation; nicht-staatliche Vereinigung, die sich z. B. sozial oder für den Umweltschutz engagiert UN-Seerechtskonvention: Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen teilt die Meeresgebie- te in verschiedene Zonen ein, regelt die Nutzung der Meere und die Befugnisse von Küstenstaaten etc. Schreiben Kompetenz- check Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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