sprachreif HAK/HTL 1, Schulbuch

56 Das tat ich dann auch. Wir tranken Kaffee und haben Kuchen zu- sammen gegessen, und Vater hielt sich auch wirklich hervorragend. Obwohl Jenö wie ein Wiedehopf roch und sich auch sonst ziemlich seltsam benahm, Vater ging drüber weg. Ja, er machte ihm sogar ein Katapult aus echtem Vierkantgummi und sah sich obendrein noch alle unsere neu erworbenen Konversationslexikonbände mit uns an. Als Jenö weg war, fehlte das Barometer über dem Schreibtisch. Ich war sehr bestürzt; Vater gar nicht so sehr. „Sie haben andere Sit- ten als wir“, sagte er; „es hat ihm eben gefallen. Außerdem hat es sowieso nicht mehr viel getaugt.“ „Und was ist“, fragte ich, „wenn er es jetzt nicht mehr rausrückt?“ „Gott“, sagte Vater, „früher ist man auch ohne Barometer ausgekom- men.“ Trotzdem, das mit dem Barometer, fand ich, ging ein bisschen zu weit. Ich nahm mir jedenfalls vor, es Jenö wieder abzunehmen. Aber als wir uns das nächste Mal trafen, hatte Jenö mir ein so herrli- ches Gegengeschenk mitgebracht, dass es unmöglich war, auf das Barometer zurückzukommen. Es handelte sich um eine Tabakspfeife, in deren Kopf ein Gesicht geschnitzt war, das einen Backenbart aus Pferdehaar trug. Ich war sehr beschämt, und ich überlegte lange, wie ich mich revanchieren könnte. Endlich hatte ich es: Ich würde Jenö zwei Meerschweinchen geben. Es bestand dann zwar die Gefahr, dass er sie aufessen würde, aber das durfte einen jetzt nicht bekümmern; Geschenk war Geschenk. Und er dachte auch gar nicht daran, sie zu essen; er lehrte sie Kunst- stücke. Innerhalb weniger Wochen liefen sie aufrecht auf zwei Bei- nen; und wenn Jenö ihnen Rauch in die Ohren blies, legten sie sich hin und überkugelten sich. Auch Schubkarrenschieben und Seiltan- zen lehrte er sie. Es war wirklich erstaunlich, was er aus ihnen her- ausholte; Vater war auch ganz beeindruckt. Ich hatte damals außer Wallace und Conan Doyle auch gerade die zehn Bände von Doktor Dolittle durch, und das brachte mich auf den Gedanken, mit Jenö zusammen so was wie einen Meerschwein- chenzirkus aufzumachen. Aber diesmal hielt Jenö nicht durch. Schon bei der Vorprüfung der geeigneten Tiere verlor er die Lust. Er wollte lieber auf Igeljagd ge- hen, das wäre interessanter. Tatsächlich, das war es. Obwohl mir war immer ziemlich mulmig dabei. Ich hatte nichts gegen Igel, im Gegen- teil, ich fand sie sympathisch. Aber es wäre sinnlos gewesen, Jenö da beeinflussen zu wollen und das lag mir auch gar nicht. Er hatte sich für die Igeljagd einen handfesten Knüppel besorgt, der unten mit einem raugefeilten Eisenende versehen war; mit dem stach er in Laubhaufen rein oder stocherte auf Schutthalden unter alten Eimern herum. Er hat oft bis zu vier Stück an einem Nachmittag harpuniert; keine Ahnung, wie er sie aufspürte; er muss sie gerochen haben, die Burschen. 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 Reflexion Literatur 2  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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