sprachreif HAK/HTL 1, Schulbuch

144 Wie das Fernsehen Indiens Frauen rettet Von Regina Bruckner | 24. September 2012 Kabel und Satellit haben in Indiens Dörfer gebracht, was Kondome, Mikrokredite, Abtreibungsverbot und Mitgift nicht schafften Auch das ist Wirtschaft: Wie reagieren die Men- schen auf Anreize? Der US-Wirtschaftswissen- schafter Steven D. Levitt und der US-Journalist Stephen J. Dubner widmen sich schon seit gerau- mer Zeit den Fragen, die auf den ersten Blick mit dem, was in der Regel unter Wirtschaft verstan- den wird, wenig gemein haben. Das Motto der beiden Herren: „Ob Sie es glauben oder nicht, wenn Sie verstehen, welche Anreize dazu führen, dass Lehrer oder Sumo-Ringer pfu- schen, dann verstehen Sie auch, wie es zur Hypo- thekenblase kam. Denn Menschen reagieren auf Anreize nicht unbedingt in der Art und Weise, dass ihre Reaktionen vorhersagbar oder sinnfäl- lig wären. Eines der mächtigsten Gesetze des Universums ist deshalb das Gesetz der unbeab- sichtigten Folgen.“ Fehlende Frauen Dubner und Levitt widmen sich etwa (in ihrem Buch „SuperFreakonomics“) der immer noch unsagbar schlechten Stellung der Frauen in In- dien. Trotz der Fortschritte ist das Land in weiten Teilen noch entsetzlich arm, Lebenserwartung und Alphabetisierungsrate sind niedrig, Eltern haben lieber Söhne als Töchter. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Buben werden zu Männern, die Geld verdienen und später ihre Eltern finan- ziell unterstützen. Mädchen kosten Geld. Auch wenn das System der Mitgift schon lange kriti- siert wird, ist es immer noch üblich, dass die Brauteltern dem Bräutigam und seiner Familie Bargeld, Autos oder Grundbesitz schenken und außerdem für die Kosten der Hochzeit aufkom- men. Mädchen gelten in Indien so wenig, dass es im Land rund 30 Millionen weniger Frauen als Männer gibt. Die meisten dieser „fehlenden Frauen“, wie der Wirtschaftswissenschafter Amartya Sen sie nennt, sind vermutlich getötet worden. Entweder indirekt, weil ihnen die Eltern Nahrung und medizinische Versorgung vorent- halten haben oder direkt, indem das Mädchen nach der Geburt umgebracht, oder immer öfter durch Abtreibung nach einer pränatalen Ge- schlechtsbestimmung gar nicht geboren wird. Geschlechtsbestimmung via Ultraschall ist selbst in kleinsten indischen Dörfern, wo es an Strom und sauberem Wasser mangelt, für die Frauen verfüg- und bezahlbar. Ignorierte Gesetze Die Regierung versuchte durch das Verbot von Mitgiften und geschlechtsspezifischen Abtrei- bungen eine Trendwende zu bewirken. Doch diese Gesetze wurden weitgehend ignoriert. Daneben gab es auch finanzielle Maßnahmen zur Unterstützung indischer Frauen. Etwa eine Initiative, die Frauen auf dem Land Geld zahlt, damit sie weiblichen Nachwuchs nicht abtreiben. Auch die Mikrokredit-Industrie, die Frauen als Kleinunternehmerinnen fördert, oder unter- schiedlicheWohlfahrtsprogramme internationa- ler Hilfsorganisationen zielten in diese Richtung. Außerdem wollte die indische Regierung kleine- re Kondome in den Handel bringen. Es hatte sich herausgestellt, dass Kondome bei indischen Männern oft versagten, weil der Penis bei 60 Pro- zent aller indischen Männer zu klein für die Kondome ist, die nach den Vorgaben der Weltge- sundheitsorganisation hergestellt werden. Die Erkenntnisse verdanken sich einer zweijährigen Untersuchung, bei der Penisse von über tausend indischen Männern vermessen und fotografiert worden waren. Fernsehen funktioniert Die meisten Projekte erwiesen sich als kompli- ziert, teuer und bestenfalls nominell erfolgreich. Was tatsächlich geholfen hat, hat mit solcherart gezielter und gut gemeinter Intervention eher wenig zu tun, kam nicht von der indischen Re- 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 Reflexion Medien 5  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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