sprachreif HAK/HTL 1, Schulbuch

128 Familie gegenüber der Wirtschaft gestärkt werden. Kinder kosten viel Geld, und deshalb sollten die Belastungen der Familie gegenüber Kinderlosen ausgeglichen werden. Familienarbeit und Erwerbsarbeit folgen unterschiedlichen Lebens- maximen. Wer nicht versteht, dass Arbeit nie Selbstzweck, sondern dass Arbeiten mit und für andere die ursprüngliche Konstante unse- rer Menschwerdung ist, wird Familienarbeit nicht zu würdigen wis- sen. Die Familie folgt ihrem eigenen Sinn des Füreinander, der nicht vereinbar ist mit dem Konkurrenzprinzip. Diese Eigenständigkeit der Familie muss verteidigt werden, wenn wir der totalen Verwirt- schaftung des Lebens entgehen wollen. Doch die Programme zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf dro- hen die Familie sanft, aber bestimmt unter die Knute der Erwerbsge- sellschaft zu stellen. Beide Ehepartner sollen in Lohnarbeit stehen. Der Störfaktor Kind soll möglichst früh der staatlichen Erziehungs- arbeit übergeben werden. An die Stelle der Amateure „Mama und Papa“ tritt eine professionalisierte Elternschaft namens „Schule“. Die Arbeit der Mütter wird erst dann anerkannt, wenn sie fremden Kin- dern gilt; das ist das System „Tagesmutter“. Wir könnten die Abschaf- fung der Elternschaft konsequenterweise bis hin zum staatlichen Brutkasten betreiben. Dann würden auch Schwangerschaft und Mut- terschutz die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht länger stören. Die Erwerbsgesellschaft ist imperialistisch und schickt sich an, die Familie zu erobern. Mit dem Programm Kinderhort, Kindertages- stätte, Kindergarten, Ganztagsschule, Ferienbetreuung ist die Kind- heit nahezu vollkommen verstaatlicht. Nur noch die Schlafzeit ist fest in Händen der Familie. Wahrscheinlich kommt der aufgeregte Eifer der Schulreformen erst dann zur Ruhe, wenn das ganze Leben – von der Wiege bis zur Rente – in ein staatliches Rundum-Internat gezwängt ist. Und so löst sich die Familie immer weiter auf. Jedes achte Ehepaar in Deutschland lebt in einer Fernbeziehung. Liebe wird zu Telepathie. Es geht von der Sesshaftigkeit, die wir uns über Jahrtausende müh- sam angewöhnt hatten, wieder zurück zum Nomadentum. Mit Greencard sogar global. Die Ehe folgt der Platzanweisung, die ihr die Wirtschaft setzt. Flexibel und mobil, am besten auf Abruf, befristet, ausgeliehen arbeitet der moderne Jobhopper. Beide Ehepartner sol- len jeweils dort leben, wo sie eine Anstellung finden. So werden Trennwände zwischen Familie und Erwerbsarbeit eingerissen. Der moderne Arbeitnehmer ist mit Handy am Gürtel und Computer auf dem Nachttisch immer im Dienst. Feierabend und Familie sind Nostalgie. […] QUELLE: http://www.zeit.de/2012/42/Ehe-Familie-Karriere; (abgerufen am 07.05.2014) 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 Zuhören und sprechen 5  Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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