querdenken - Geschichte und Politische Bildung 4, Schulbuch

158 Gesellschaftlicher Wandel Die Neue Frauenbewegung Die sogenannte Neue oder Zweite Frauenbewegung ist eng mit der politischen Aufbruchsstimmung der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre verbunden, v. a. mit Protestbewegungen von Studierenden gegen autoritäre Gesellschafts- strukturen. Die Aktivistinnen der neuen Emanzipationsbewegung – eine zentrale Figur für Österreich ist Erica Fischer – stellten das vorherrschende patriarchale Verhält- nis zwischen Frauen und Männern in Frage und wollten sich davon befreien. Sie forderten mehr Selbstbestimmung, gesellschaftliche Gleichstellung, mehr politische Teilhabe und die Änderung politischer Machtstrukturen. Die Ge- schlechterrollen, alles, was typisch männlichem oder weiblichem Verhalten zugeschrieben wird, wurden kritisch hinterfragt. Die Zulassung der Antibabypille (hormonelles Verhütungsmittel) 1960 in den USA (Österreich 1962) prägte den Umgang mit Sexualität nachhaltig. In den 1970er-Jahren demonstrierten Frauen in vielen Ländern, so auch in Österreich, für das Recht auf einen straffreien Schwangerschaftsabbruch. Unter Bundes- kanzler Kreisky (SPÖ) wurde 1975 die sog. Fristenlösung eingeführt, sie war ein politischer Streitpunkt und wird bis heute von der katholischen Kirche abge- lehnt. Im Zuge der Familienrechtsreform der 1970er-Jahren erhielten Frauen in Öster- reich wichtige Rechte; die Dominanz (Vorherrschaft) des Mannes in der Fami- lie wurde 1976 zugunsten gleicher Rechte und Pflichten für beide Elternteile abgeschafft. 1979 wurde Frauenpolitik auch auf Regierungsebene verankert, man schuf das „Staatssekretari- at für allgemeine Frauenfragen“. Johanna Dohnal (SPÖ) wurde da- mit betraut. Sie hatte das Amt bis 1990 inne und war von 1991 bis 1995 die erste Bundesministe- rin für Frauenan- gelegenheiten. O Faschismus, S. 40 f. P Patriarchat: Gesellschafts- form, in der der Mann eine bevorzugte Stellung in Gesell- schaft und Familie hat, diese kontrolliert und repräsentiert › Erica Fischer, geb. 1943, Schriftstellerin und Überset- zerin, ist Mitbegründerin der Neuen Frauenbewegung in Österreich und der feministi- schen Zeitschrift „AUF – Eine Frauenzeitschrift“, die von 1974–2011 erschien. › Die Entwicklung der Anti- babypille, umgangssprachlich auch „Pille“ genannt, trug dazu bei, dass Sexualität offener diskutiert und freier praktiziert werden konnte. Sie unterstützte Frauen auch dabei, durch eine geplante Mutterschaft mehr Zeit in Aus- bildung und Berufstätigkeit investieren zu können. P Fristenlösung: Zeitraum, in dem unter gewissen Umstän- den ein Schwangerschafts- abbruch straffrei möglich ist Staatssekretärin Johanna Dohnal (1939–2010) und Bundeskanzler Bruno Kreisky, Foto, 1979 z7435c Johanna-Dohnal-Förderpreis Demonstration für das Recht auf Abtreibung, Foto, Wien 1971 A7 Arbeite mit Hilfe des Textes Ansprüche der Neuen Frauenbewegung heraus. Begründe die Forderung von Frauen auf Änderung des bis 1975 gültigen Gesetzestextes in Bezug auf einen Schwangerschaftsabbruch. Formuliere in einer einminütigen improvisierten Rede, welche Anliegen die Frauen heute haben könnten. (AW, PUK, PHK) M7 Ist die Abtreibung versucht, aber nicht erfolgt, so soll die Strafe auf Ker- ker zwischen sechs Monaten und einem Jahre ausgemessen; die zustande gebrachte Abtreibung mit schwerem Kerker zwischen einem und fünf Jahren bestraft werden. Strafgesetz von 1852, § 145, Von Abtreibung der Leibesfrucht Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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