querdenken - Geschichte und Politische Bildung 4, Schulbuch

15 Demokratie Wiederaufbau Nach Kriegsende herrschten Nahrungsmittelknappheit, Wohnungsnot, Armut und hohe Arbeitslosigkeit. Vielfach waren Verkehrswege, landwirtschaftliche Flächen und Industrieanlagen zerstört. Um sich mit dem Nötigsten zu versor- gen, betrieben die Menschen in den ersten Nachkriegsjahren oftmals Tausch- handel, die Natur wurde nach Heizmaterial und Lebensmitteln abgesucht, selbst in öffentlichen Parks in Städten bauten die Menschen Gemüse an. Die Schillingwährung wurde 1945 wieder eingeführt und die Regierung verstaat- lichte 1946/47 wichtige Großbetriebe (z. B. Eisen- und Metallindustrie, Elektrizi- tätswerke, Kohle- und Eisenerzabbau). Doch ohne ausländische Unterstützung wäre der rasche Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft und Industrie nicht möglich gewesen. Mit Hilfe des Marshallplans wurden z. B. Straßen errichtet und Industriebetriebe auf- und ausgebaut. Die „Tauernkraftwerke Kaprun“, ein Großprojekt begonnen in der NS-Zeit, wurden ebenfalls mit Marshallplangeldern fertig gestellt. Es gelang die Eindämmung der Inflation und die Kontrolle von Löhnen, Preisen und Tarifen und der Übergang von der Kriegs- zur Marktwirtschaft. Die Regierung konnte viele Fördermaßnahmen für Wirtschaft und Infrastruktur sowie sozialverträgliche Gesetze zur Deckung der Grundbedürfnisse schaffen. Österreich erlebte rasch einen deutlichen Aufschwung. Zu typischen Zeichen dieses „Wirt- schaftswunders“ in den 1950er- Jahren wurden u. a. das Auto und Reisen an die Adria. Entnazifizierung Die Alliierten forderten eine Entnazifizierung, um die österreichische Gesell- schaft von allen Einflüssen des Nationalsozialismus zu befreien. Ehemalige NSDAP -Mitglieder (ca. 540.000) mussten sich registrieren lassen, sie verloren das Stimmrecht für die Wahlen 1945 und mussten Sühneabgaben leisten. Etwa 170.000 Registrierte bekamen Berufsverbot oder wurden fristlos ent- lassen, besonders stark war davon der öffentliche Dienst betroffen. Das 1947 beschlossene „Nationalsozialistengesetz“ brachte eine Einteilung der Regis- trierten in Kriegsverbrecherinnen und -verbrecher, Belastete und Minder- belastete. Bereits 1948 gab es eine umfassende Amnestie (Straferlass) für Minderbelastete (ca. 480.000), d. h. 90% waren von der Entnazifizierung nicht mehr betroffen und erhielten das Wahlrecht zurück. Bei den Wahlen 1949 buhlten die Parteien heftig um die Stimmen dieser halben Million Wählerinnen und Wähler. 1957 gab es eine Amnestie auch für schwer belastete Personen. Die Entnazifizierung war in Österreich rasch zu einer rein bürokratischen Angelegenheit geworden. Die rasche Rehabilitierung ehemaliger Nationalso- zialistinnen und Nationalsozialisten trug dazu bei, dass etliche von ihnen ihre Karrieren in der Zweiten Republik beinahe unbeschadet fortsetzen konnten. P Verstaatlichung: Über- führung von Privat- in Staats- eigentum zur Stabilisierung des Staatshaushaltes P Marshallplan: „European Recovery Program“ (ERP), initiiert von US-Außenminister George C. Marshall; Hilfs- programm der USA für den Wiederaufbau des zerstörten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg in Form von Krediten, Rohstoffen, Lebensmitteln und Waren (1948–1952) P Wirtschaftswunder: Be- zeichnung für das unerwartet schnelle und nachhaltige Wirtschaftswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg Familienurlaub an der Adria, Foto, 1950er-Jahre P NSDAP: Abk. für „National- sozialistische Deutsche Arbei- terpartei“ › Der erste NS-Kriegsverbre- cherprozess fand im Mai 1945 statt, bis 1955 wurden etwa 2.000 Personen wegen Gewalt- verbrechen verurteilt. O Holocaust, S. 58 f. 5jm3nt Austria Wochenschau Schild mit einem Hinweis auf Hilfsmittel des ERP beim Braunkohlewerk St. Stefan (Kärnten), Foto, 1951 A8 Arbeite aus der Darstellung der Nachkriegszeit im Text wichtige Punkte zur Situation in Österreich nach 1945 heraus. Formuliere Fragen, die diese Darstellung aufwirft. (HFK) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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