querdenken - Geschichte und Politische Bildung 4, Schulbuch

11 Demokratie Im Jänner 1927 kam es zu einem folgenschweren Ereignis im burgenländischen Ort Schattendorf. Beim Zusammentreffen von Mitgliedern des Republika- nischen Schutzbundes und der Frontkämpfervereinigung wurden zwei unbe- teiligte Menschen, ein Kind und ein Kriegsinvalider, erschossen. Im darauf- folgenden Gerichtsverfahren wurden die Täter von einem Geschworenen- gericht am 14. Juli 1927 von der Anklage des „beabsichtigten Mordes“ freige- sprochen. Tausende Men- schen protestierten daraufhin. Die Situation geriet zuneh- mend außer Kontrolle und schließlich wurde im Zuge dieser Protestaktionen der Wiener Justizpalast in Brand gesetzt. Bundeskanzler Seipel befahl dem Wiener Polizei- präsidenten Schober, die Un- ruhen unter allen Umständen zu unterdrücken. Bei den Stra- ßenkämpfen, im Zuge deren die Polizei auch Schießbefehl erhielt, starben 89 Menschen und fünf Sicherheitskräfte, über 1.000 Menschen wurden verletzt. Nach den Ereignissen von 1927 wurden die Gegensätze der Lager unüberwindbar. Das mangelnde Vertrauen der Parteien in die parlamentarische Demokratie, die fehlende Gesprächsbereit- schaft und der Einsatz von Gewalt als Mittel der Politik ebneten den Weg für die Zerstörung der demokratischen Strukturen in Österreich. Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927, Foto Politischer Kampf auf der Straße Die Spaltung der österreichischen Bevölkerung in zwei politische Lager verschärfte sich zunehmend. Eine politische Einigung zwischen den beiden großen Parteien schien nahezu unmöglich. 1926 setzte die Sozialdemokra- tie ihr Linzer Programm in Kraft, in dem eine radikale, marxistisch geprägte Ideologie vertreten wurde. Daraufhin verstärkten sich die ideologischen Gegensätze zwischen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Christlichsozialen Partei unter Bundeskanzler Ignaz Seipel. Ignaz Seipel, österreichischer Bundeskanzler, Foto, 1925 P Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs: Zu- sammenschluss ehemaliger Soldaten der k. u. k. Armee zu einem Wehrverband; stand der Heimwehr ideologisch nahe; 1935 aufgelöst P Geschworene: ausge- suchte Personen ohne juris- tische Ausbildung, die bei einem Rechtsverfahren über Schuld oder Unschuld der Angeklagten entscheiden › Auf einer Gedenktafel im Wiener Justizpalast wird auf die Ereignisse hingewiesen, welche 1927 zur weiteren Radikalisierung der politi- schen Situation in Österreich beitrugen. Bundespräsident Fischer (2004– 2016) enthüllt die Gedenktafel im Justizpalast, Foto, 2007 A4 Fasse die Bedeutung der Textquelle in eigenen Worten zusammen. Analysiere die Einschätzung der politische Situation 1926 durch die Sozialdemokratie, die sich in der Textquelle widerspiegelt. Nimm Stellung dazu, inwiefern die Gegensätze der politischen Parteien in den späten 1920er-Jahren unüberwindbar waren. (HMK, PUK) M7 Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs, gestützt […] auf die Erfahrung jahrzehntelanger sieghafter Kämpfe, eng verbunden den sozialistischen Arbeiterparteien aller Nationen, führt den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und setzt ihm als Ziel die Überwindung der kapitalistischen, den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1926 (Auszug) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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