Ex libris Latein-Lektüre, Trainingsband

96 Die Sibylle(n) und die Sibyllinischen Orakel Als Sibyllen wurden im antiken Griechenland (und in anderen Ländern, z. B. Libyen) Seherinnen bezeichnet, die an verschiedenen Orakelstätten den Menschen die Zukunft weissagten. Die berühmteste Sibylle war die von Delphi. Im republikanischen Rom gab es die sogenannten Sibyllinischen Bücher („ libri Sibyllini“ ), eine Sammlung von Ritualvorschriften für die römische Religion. Schließlich entstand im Judentum eine anonym überlieferte Samm- lung von Weissagungen, in der biblische Prophezeiungen mit der Gestalt der Sibylle verknüpft werden, die offen- bar auch auf die Juden eine starke Faszination ausübte. Diese sogenannten „Oracula Sibyllina“ wurden auch im frühen Christentum gerne gelesen, da sie u. a. Prophezeiungen über den Messias und Texte über das Weltgericht enthalten. Ein Teil der „Oracula Sibyllina“ entstand direkt unter christlichem Einfluss. Auf diese Weise wurde die Gestalt der Sibylle „christianisiert“ und oft in einem Atemzug mit den alttestamentlichen Propheten genannt. Die bekannteste Darstellung von Propheten und Sibyllen findet sich an der Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, gemalt von Michelangelo in den Jahren 1508–1510. Auch in der Stiftskirche von Vorau (Steiermark) gibt es eine Darstellung der Sibyllen. Arbeitsaufgaben zu Abschnitt I 1. Finde ein Beispiel für die unten aufgelisteten Stilmittel und trage das entsprechende Zitat in die Tabelle ein. Stilmittel Beispiel (lateinisches Textzitat) Antithese Alliteration 2. Überprüfe die Richtigkeit der Übersetzung. unde mundus iudicetur (Z. 15) heißt übersetzt: woher wird der Welt geholfen? aufgrund dessen die Welt gerichtet werden soll. nach dem die Welt gerettet wird. warum die Welt gerichtet werden soll. Das Mozart-Requiem Unter einem Requiem versteht man eine Messe, die man im Gedenken an einen Verstorbenen feiert. Sie hat ihren Namen nach den lateinischen Worten des Eingangsgebets für die Verstorbenen: „Requiem aeternam dona eis, Domine“. In dieser Messe hat der Hymnus „Dies irae“ , ursprünglich eine persönliche Meditation, seit dem Mittel­ alter seinen festen Platz bekommen. Zahlreiche Komponisten haben das Requiem vertont, darunter Mozart, Verdi und Berlioz. Mozart schuf sein Requiem im Auftrag des Grafen Franz Walsegg von Stuppach , der es als sein eigenes Werk aus- geben wollte und es seiner im Februar 1791 verstorbenen Gattin widmete. Er beauftragte Mozart deshalb nicht persönlich, sondern durch einen Mittelsmann, was in der Folge zu allerlei Spekulationen über den Auftraggeber und sein Motiv führte. Mozart konnte aufgrund seines frühen Todes am 5. Dezember 1791 das Werk nicht mehr vollenden. Dies besorgte sein ehemaliger Schüler Franz Xaver Süßmayr. Mozarts Requiem thematisiert in höchst eindrucksvoller musikali- scher Form die Selbstreflexion des vor dem Gericht Gottes stehenden Menschen. Berühmt wurde das Werk nicht zuletzt durch den Film „ Amadeus“ des tschechisch-amerikanischen Regisseurs Miloš Forman (1984), in dem Mozarts Komponisten-Kollege und Konkurrent Antonio Salieri als anonym bleibender Auftraggeber auftritt und Mozart gleichsam in den Tod treibt, indem er ihn zur Vollendung des Werkes antreibt. Obwohl der Film als solcher ein Meisterwerk ist (acht Oscars), darf nicht verschwiegen werden, dass der Plot stark von den historischen Fakten abweicht. Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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