Ex libris Latein-Textband

82 Liebe, Lust und Leidenschaft | Ovid als Lehrer in Sachen Liebe Der Beginn Im Prooemium zum 1. Buch der „Ars amatoria“ legt Ovid sein Vorhaben dar: Si quis in hoc artem populo non novit amandi, hoc legat et lecto carmine doctus amet. Arte citae veloque rates remoque reguntur, arte leves currus. Arte regendus Amor a . Curribus Automedon b lentisque 1 erat aptus habenis, Tiphys c in Haemoniā d puppe d magister 2 erat. Me Venus artificem tenero praefecit Amori a , Tiphys c et Automedon b dicar Amoris a ego. Ille quidem ferus est et 3 qui 3 mihi saepe repugnet, sed puer est, aetas mollis et apta regi. Phillyrides e puerum citharā perfecit Achillem atque animos placidā contudit 4 arte feros. (…) Aeacidae f Chiron e , ego sum praeceptor Amoris a ; saevus uterque puer, natus uterque deā. (…) Et mihi cedet Amor a , quamvis 5 mea vulneret arcu pectora iactatas 6 excutiatque 7 faces. Quo 8 me fixit 9 Amor a , quo 8 me violentius ussit, hoc 8 melior facti vulneris ultor ero. Ovid, Ars amatoria 1,1–24 (gekürzt; Versmaß: elegisches Distichon) 1 lentus, -a, -um: geschmeidig 2 magister, magistri m .: hier : Steuermann 3 et qui ( konsekutiver Relativsatz ): und so, dass er 4 contúndere 3 , contudi: zähmen 5 quamvis (+ Konj .): wenn auch 6 iactare 1 : hier : schwenken 7 excútere 3 M: schwingen 8 quo (+ Komp .) …hoc (+ Komp .): je … desto 9 fígere 3 , fixi: (mit dem Pfeil) durchbohren c Tiphys m .: Tiphys ( Steuer- mann des Schiffes Argo ) d puppis (-is f. ) Haemonia (-ae): Schiff aus Thessalien (= Argo) e Phillyrides, -dae m .: Sohn der (Nymphe) Philyra (= Chiron, ein Kentaur und Achills Lehrer ) f Aeacides, -dae f .: Aiakos- enkel (= Achill; der wichtigste griechische Held im Trojanischen Krieg, Sohn der Göttin Thetis und des Sterblichen Peleus) 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Im Eröffnungsgedicht seiner „ Amores“ hat der Autor auf folgende Weise mit Amor zu kämpfen: Von Krieg und Waffengewalt in markigen Rhythmen zu künden schickte ich mich an, und zum Vers hatte ich den passenden Stoff. Jede zweite Zeile war gleich lang wie die erste; da lachte Cupido ( gemeint ist Amor ), so geht die Sage, und stahl einen Versfuß. [5] „Wer hat dir, wilder Knabe, das Recht verliehen, mit Versen so umzuspringen? Wir Dichter sind Jünger der Musen und nicht deine Vasallen. (...) Ja, nicht einmal einen Stoff hab ich, der zu leichteren Rhythmen passen würde, [20] sei es ein Knabe oder ein Mädchen mit hübsch frisiertem langen Haar.“ Ich war mit meiner Klage zu Ende; da öffnete er schon den Köcher und wählte einen Pfeil, geschaffen, mich zu verderben. Kräftig spannte er mit dem Knie den Bogen, rundete ihn zum Halb- mond und sprach: „Da hast du Stoff zum Singen, Musensohn!“ [25] Ich Ärmster! Der Pfeil jenes Knaben ist unfehlbar ins Ziel gegangen: Ich stehe in Flammen, und Amor herrscht über mein eben noch freies Herz. (Ovid, Amores 1,1,1–6; 19–26; Übersetzung: Michael von Albrecht) Reproduktion, Transfer und Reflexion • Führe eine metrische Analyse der ersten beiden Verse durch und trage sie vor (T) . • Weise durch das Zuordnen der Stilmittel Anapher, Hyperbaton, Metonymie und Parallelismus Ovids literari- schen Anspruch nach (R) . • Vergleiche den Beginn der „Ars amatoria“ mit dem Eröffnungsgedicht der „Amores“ und halte Ähnlichkeiten und Unterschiede fest (T) . • Informiere dich über Augustus’ politisches Programm der moralischen Erneuerung und überlege, warum Ovids „Ars amatoria“ als Vorwand dienen konnte, den Dichter in die Verbannung zu schicken (R, T) . a Amor, -oris m .: Amor ( Sohn der Venus; Gott der Liebe ) b Automedon, -ontis m .: Automedon ( Wagenlenker Achills ) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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