Ex libris Latein-Textband

81 Freuden und Leiden der Liebe | Liebe, Lust und Leidenschaft Ovid als Lehrer in Sachen Liebe Ovid Publius Ovidius Naso (43 v. Chr–17 n. Chr.) war ein römischer Ritter aus Sulmo (heute Sulmona) in den Abruzzen. Er studierte mit seinem Bruder in Rom. Anstelle jedoch dann die Ämterlaufbahn einzuschlagen, wandte er sich der Dichtkunst zu. Bereits mit seinem ersten Werk, den Liebeselegien „Amores“, hatte Ovid großen Erfolg und wurde zum gefeier- ten Liebesdichter im Rom des so sittenstrengen Kaisers Augustus. Ein weiteres frühes Werk des Dichters sind die „Heroides“, poetische Briefe von Frauen des Mythos an ihre abwesenden Männer (z. B. Penelope an Odysseus). Um Christi Geburt entstanden zunächst die Lehrgedichte „Ars amatoria“ und „Remedia amoris“ (siehe unten), und dann die „Fasti“, ein Gedicht, das den römischen Festkalender erklärt. Auch die „Metamorphosen“ (vgl. S. 130), das einzige Werk Ovids, das nicht im elegischen Distichon, sondern im Hexameter (vgl. S. 191) abgefasst ist, wurde damals fertiggestellt. Mit diesem Epos schuf Ovid letztlich eine über die Jahrtausende wirkmächtige Mythensammlung. Im Jahre 8 n. Chr. wurde Ovid von Kaiser Augustus ans Schwarze Meer nach Tomis (heute Constanta) verbannt. Offenbar war er in irgendeinen Skandal im Kaiserhaus verwickelt. In der Zeit der Verbannung entstanden seine „Epistulae ex Ponto“ („Briefe vom Schwarzen Meer“) und seine „Tristia“ („Trauerelegien“). Vergeblich versuchte Ovid durch diese Werke seine Begna- digung zu erreichen und starb im Exil. Ovid-Statue in Constanta, Rumänien Die „Ars amatoria“ und die Lehrdichtung Die „Ars amatoria“ steht in der Tradition des Lehrgedichts. Diese literarische Gattung geht auf den Griechen Hesiod (7. Jh. v. Chr.) zurück, der im epischen Vers des Hexameters die Herkunft der Götter („Theogonie“) und die Arbeit des Bauern behandelte („Werke und Tage“). Danach legten die frühen griechischen Naturphilosophen ihre Lehren in Gedichtform dar. Sie gaben ihren Werken zumeist den Titel „perí phýseos“ („Über die Natur“), so z. B. Parmenides und Empedokles. Spätestens mit Platon (5./4. Jh. v. Chr.) wurde das Lehrgedicht in der Philosophie aber durch Dialog und Lehrbrief ersetzt. Erst die hellenistischen Dichter griffen wieder auf die Lehrdichtung zurück. Sie wollten ihre Dichtkunst an einem schwierigen Stoff unter Beweis stellen. Die Form dominierte gegenüber dem Inhalt. Berühmt waren besonders die „Phainómena“ des Arat (3. Jh. v. Chr.), die Sternbilder und Himmelserscheinungen zum Inhalt haben. Arats Gedicht war sehr beliebt und wurde mehrfach später ins Lateinische übertragen, u. a. von Cicero und auch Ovid. Das erste römische Lehrgedicht, „De rerum natura“, stammte von Lukrez (1. Jh. v. Chr.). Es war wieder philoso- phischen Inhalts und stellte in sechs Büchern die Atomlehre Epikurs (vgl. S.104) dar. Vergil wiederum griff mit seinen „Georgica“ („Vom Bauernleben“) auf Hesiod zurück, berücksichtigte dabei aber auch die ganze dazwi- schenliegende Lehrdichtung. War bislang der Hexameter für das Lehrgedicht verpflichtend, so verfasste Ovid als Experte in Sachen Liebe seine „Ars amatoria“ in elegischen Distichen (vgl. S.191). In seinem Lehrgedicht geht es nicht um Gefühl, sondern um Erotik. Dementsprechend wendet er sich in den ersten beiden Büchern an die männliche Jugend. Behan- delt werden die Fragen: „Wo finde ich sie?“ Wie gewinne ich sie?“ Wie behalte ich sie?“ Das dritte Buch ist den Frauen gewidmet. Die Fragestellung lautet hier in erster Linie: „Wie richte ich mich her?“ All diese Ratschläge betreffen freilich jeweils auch das andere Geschlecht. Eingeschoben sind ferner Passagen aus dem Mythos, z. B. der Ehebruch von Mars und Venus. Ovid brachte seine Liebeslehre durch ein weiteres Gedicht, die „Remedia amoris“ („Heilmittel gegen die Liebe“), thematisch zum Abschluss. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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