Ex libris Latein-Textband
78 Liebe, Lust und Leidenschaft | Freuden und Leiden der Liebe In dem folgenden Gedicht drückt Catull die extremen Gefühle aus, die Lesbia in ihm auslöst: Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris. Nescio, sed fieri sentio et excrucior. Catull, Carmen 85 (Versmaß: elegisches Distichon) II Reproduktion, Transfer und Reflexion • Untersuche das Gedicht in Hinblick auf die Wortarten und erläutere, was dir dabei auffällt (R, X) . • Finde Gegenbegriffe zu odi et amo – faciam – nescio und beachte dabei auch die metrische Gestaltung (R) . Epigramm und Elegie Catulls Carmen 85 gehört zur literarischen Gattung des Epigramms (vgl. auch S.16). Elegie und Epigramm sind Gedichtformen, denen als Versmaß das elegische Distichon (vgl. S.191) gemeinsam ist. Das elegische Distichon ist ein aus Daktylen bzw. Spondeen gebildeter Zweizeiler, bei dem der erste Vers ein Hexameter, der zweite ein Pentameter ist. Es eignet sich vor allem für kürzere Gedichte mit persönlichen Inhalten. Unter Elegien verstand man ursprünglich wohl Klagelieder. Zu den ältesten Vertretern dieser Gattung gehören Solon von Athen und Mimnermos von Kolophon (um 600 v. Chr.). Epigramme sind ursprünglich „Aufschriften“ auf Gräbern, Weihegeschenken für Götter und Siegespreisen. In hellenistischer Zeit wird das Epigramm zu einer literarischen Gattung mit folgenden charakteristischen Merkmalen: 1. Kürze und Prägnanz, entsprechend dem ursprünglichen Zweck als Aufschrift 2. Spiel mit der Sprache – Verwendung vieler Stilmittel, vor allem der Antithese (passend zu einem zweizeiligen Versmaß) 3. überraschende Schlusspointe Inhaltlich entwickelt sich in hellenistischer Zeit bei Elegie und Epigramm eine Vorliebe für erotische Motive. Dies übernehmen die römischen Dichter, insbesondere die Neoteriker um Catull. Mit einem seiner Gedichte (Carmen 76), das schon mehr Kurzelegie als Epigramm ist, gibt Catull den Anstoß zur subjektiv-erotischen Elegie, einer spezifisch römischen Gattung, deren vier Vertreter Gallus, Tibull, Properz und Ovid (vgl. S. 81) sind. Bei Catull findet sich aber auch schon die wehmütig-nostalgische Stimmung, die dann durch die Wirkung von Ovids in der Verbannung geschriebenen Elegien mit dem Begriff der Elegie verbunden blieb (z. B. Goethe „Römische Elegien“, Rilke „Duineser Elegien“). Noch ein Epigramm… Aus hoffnungsvolleren Zeiten stammt wohl dieses Epigramm, obwohl auch hier der pessimistische Ton zu erkennen ist: Nulli se dicit mulier mea nubere malle quam mihi, non si se Iuppiter ipse petat. Dicit: sed mulier cupido quod 1 dicit amanti, in vento et rapida scribere oportet aqua. Catull, Carmen 70 (Versmaß: elegisches Distichon) 1 quod: was Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=