Ex libris Latein-Textband
75 | Liebe, Lust und Leidenschaft Freuden und Leiden der Liebe Liebe, Lust und Leidenschaft Catull und die Neoteriker Hellenistische Dichtung Nach dem Tode Alexanders des Großen (323 v. Chr.) wird Alexandria (Hauptstadt des Ptolemäerreiches in Ägypten) neben Athen zum wichtigsten kulturellen Zentrum der griechisch-hellenistischen Welt; alexandrinische Dichter wie Kallimachos (3. Jh. v. Chr.) entwickeln ein eigenes Dichtungsideal, das durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist: a) Kleinkunst: Kallimachos: „méga biblíon méga kakón“ (ein großes Buch ein großes Übel); man pflegt „kleine“ Gattungen wie Epigramm und Elegie und entwickelt neue Formen wie das Epyllion (Kleinepos); b) formale Meisterschaft: sorgfältige Komposition, geschliffene Sprache, Liebe zum Detail; c) Gelehrsamkeit: man schreibt für „Kenner“, zeigt sich als „poeta doctus“, der durch die Verwendung entlegener Mythen und Aitia (Ursprungsgeschichten) überrascht, und verrät sein formales Können durch ansprechende Aufbereitung „spröder“ Stoffe (Lehrgedichte wie z. B. über Himmelskörper oder Heilkräuter); d) Themen oft der Privatsphäre und dem Alltag entnommen; Interesse an Persönlichem, an Gefühl, an Erotik. Als Neoteriker (poetae novi) wird eine Gruppe von römischen Dichtern der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. bezeich- net, die sich den Dichtungsidealen der Alexandriner verpflichtet fühlten; verstärkt wird Persönliches dichterisch gestaltet; bedeutendster Vertreter der Gruppe ist Catull. Catull, geboren um 84 v. Chr. in Verona, stammt aus einer begüterten Familie, sein Vater ist mit Caesar befreun- det. Als junger Mann kommt Catull nach Rom und findet Aufnahme in die vornehme Gesellschaft, wo er eine verheiratete Frau kennenlernt, die Lesbia seiner Gedichte. Dieses Pseudonym erinnert an die Dichterin Sappho von Lesbos, die Catull sehr schätzt, und ist mit dem richtigen Namen metrisch identisch. Bei Lesbia handelt es sich wahrscheinlich um Clodia, eine Schwester von Ciceros Erzfeind, Clodius Pulcher. Die Höhen und Tiefen von Catulls Beziehung zu ihr lassen sich in den Lesbiagedichten nachvollziehen. Catull stirbt etwa dreißigjährig um das Jahr 54 v. Chr. Seine Gedichtsammlung umfasst 116 Gedichte (Carmina) verschiedenen Inhalts und Umfangs. Die Anordnung der Gedichte erfolgt nach dem Grundsatz der „variatio“. Hinsichtlich der verwendeten Versmaße ist die Samm- lung zweigeteilt: die Carmina 1–64 sind polymetrisch (in verschiedenen Versmaßen, zum Hendekasyllabus vgl. S.192), die Carmina 65–116 sind in elegischen Distichen (vgl. S.78 und 191) abgefasst. Hinsichtlich des Umfangs und des Inhalts unterscheidet man drei Gedichtgruppen: 1. Polymetra (Carmina 1–60): Themen: Liebe (Lesbiagedichte), Freundschaft, Spott und Hass; wichtigstes Versmaß: Hendek- asyllabus (phaläceischer Elfsilber); 2. Carmina maiora (Carmina 61–68): längere Gedichte 3. Epigrammata (Carmina 69–116): Themen wie die Polymetra; zusammen bilden sie die Carmina minora Catull-Büste, Sirmione am Gardasee Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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