Ex libris Latein-Textband

71 Leben und Sterben Das Leben der Römer war – so makaber das auch klin- gen mag– hauptsächlich vomTod bestimmt. Vom ersten Augenblick des Daseins an war das Leben eines römi- schen Kindes vom Tod bedroht. Dies betrifft nicht nur die legale Möglichkeit, Kinder im Falle von Missbildun- gen oder bei sozialer Not der Familie an öffentlichen Orten auszusetzen, sondern ganz allgemein die hohe Sterblichkeitsrate. Zahlreiche erhaltene Grabsteine von Kindern, aus denen sich die tiefe Trauer der Eltern able- sen lässt, sprechen diesbezüglich eine deutliche Spra- che. Aus den Erhebungen verschiedener Daten lässt sich feststellen, dass die Säuglingssterblichkeit bei etwa 40 Prozent lag; wer das 5. Lebensjahr erreichte, konnte damit rechnen, über 40 Jahre alt zu werden 1 . In der Groß- stadt Rom war die Lebenserwartung deutlich niedriger als auf dem Land. Der Anteil der über 80-Jährigen wird auf rund 3 Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt. Die Geburt erfolgte zu Hause im Beisein einer Heb- amme und vielleicht weiterer Frauen (Sklavinnen, Freundinnen, Angehörige…), die der Gebärenden bei- standen. Nachdem die Lebensfähigkeit des Säuglings geprüft worden war, trennte man die Nabelschnur ab, wusch ihn und legte ihn in die Wiege. Zum Schutz vor bösen Einflüssen bekam jedes Kind eine „bulla“ (Kapsel mit einem Amulett) um den Hals gehängt, die erst mit dem Eintritt ins Mannesalter bzw. am Hochzeitstag (bei Frauen) abgelegt wurde. Legitime Kinder mussten ähnlich wie heute seit Kai- ser Augustus registriert werden; Kaiser Marc Aurel (161– 180 n. Chr.) dehnte diese Bestimmung auf alle Kinder aller Provinzen aus. Mit dieser Registrierung (vgl. S. 72 oben) war auch ein Nachweis des Bürgerrechts gege- ben. Für ärmere Kinder gab es in der Kaiserzeit eine Art „Ernährungsbeihilfe“ ( „ alimenta“; zum Teil als Sachleis- tung, zum Teil als Geld), die zunächst von Privatperso- nen, ab Kaiser Nerva (96–98 n. Chr.) auch vom Staat ge- tragen wurde. Doch kehren wir zur Eingangsbehauptung zurück, dass das Leben der Römer vom Tod stark geprägt war. Dies zeigt sich auch daran, dass das Reden über den Tod und über das eigene Grabmal kein Tabuthema war. Das eigene Grab wurde „niemals nur als Ort der Bestattung angesehen (…), sondern auch als Monument der Selbst- darstellung und des ‚Nachruhmes‘.“ 2 So verwundert es nicht, dass viele Römer testamentarisch für die Gestal- tung des Grabes Vorsorge trafen (vgl. S. 72 unten) oder sich bereits zu Lebzeiten den Grabstein setzen ließen (häufig findet sich auf Grabinschriften der Vermerk V F = „vivus fecit“). Römische Gräber konnten von einer einfachen Be- stattung in der Erde bis zu prunkvollsten Mausoleen alle denkbaren Formen annehmen. Bei letzteren setzten lediglich die finanziellen Mittel den Gestaltungsmög- lichkeiten gewisse Grenzen. Hatten frühe Gräber die schon in vorgeschichtlicher Zeit in Europa und im Mit- telmeerraum nachweisbare Form des kreisrunden Grab- hügels ( „ tumulus“), so gab es ab der Kaiserzeit Gräber in Form von hohen Säulen – die Igeler Säule bei Trier, ein Grab in Pfeilerform, hatte eine Höhe von rund 29m –, von kleinen Tempeln ( „ aedicula“) oder sogar von Pyra- miden – die Cestius-Pyramide in Rom ist über 36 m hoch. Nach dem Tod eines reichen Römers – Armenbegräb- nisse vollzogen sich als Erdbestattung in ganz einfacher Form - wurde seine Leiche von einem Bestatter ( „ libiti- narius“) gesalbt und im Atrium des Hauses für mehrere Tage aufgebahrt. Blumen, Laub und Kränze bedeckten den Leichnam; vielfach wurde dem Toten eine Münze als Fährgeld für Charon unter die Zunge gelegt. Wie bei der Geburt musste auch der Tod gemeldet werden – im Tempel der römischen Todesgöttin „Libitina“ wurde das Totenregister geführt. Ein Höhepunkt der Trauerfeier- lichkeiten war die „pompa fúnebris“, der Leichenzug, der vom Haus des Verstorbenen aufs Forum führte, wo eine „laudatio fúnebris“ (Trauerrede) gehalten wurde. Diese diente – wie das oben beschriebene Grabmal – der Selbstdarstellung des Toten. Den Trauerzug beglei- teten Musikanten, Tänzer und Klagefrauen in einer fes- ten Ordnung. Unverzichtbar war auch ein eigens mitgeführter Wagen, auf dem die Wachsmasken der Ahnen, die sogenannten „imagines“, präsentiert wur- den. Aus einer Satire des Horaz (I 6,42 f.) wissen wir, dass solch ein Trauerzug auch Verkehrsprobleme verursa- chen konnte. Der Leichnam des Verstorbenen wurde anschließend außerhalb der Stadtmauern verbrannt. Dies geschah auf einem Scheiterhaufen („rogus“), auf dem die Toten- bahre („feretrum“), aber auch Lieblingsgegenstände des Verstorbenen verbrannt wurden. Ein Totenmahl am eigentlichen Grab, dem „sepulcrum“, schloss die Zere- monie ab. Gräber wurden, ähnlich wie heute, von den Angehörigen regelmäßig besucht. Cestius-Pyramide und Porta San Paolo in Rom 1 Vgl. Karl-Wilhelm Weeber, Alltag im Alten Rom, Zürich 1995, S. 229 2 Vgl. Karl-Wilhelm Weeber, Alltag im Alten Rom, Zürich 1995, S. 159 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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