Ex libris Latein-Textband

65 Freizeit im alten Rom Spiel – wer denkt da heute nicht an Gesellschafts- oder Brett- oder gar Computerspiele? Die Antike kannte zwar auch die beiden ersten Arten (zumeist mit Würfeln ge- spielt), doch das, wofür Rom berühmt wurde, waren die „ludi publici“, die öffentlichen Spiele, die als Megaevents große Teile der Stadtbevölkerung in ihren Bann zogen. Von ihrer Wirkung auf die Menschen waren sie heutigen sportlichen Großveranstaltungen vergleichbar, man darf jedoch keinesfalls übersehen, dass es bei diesen „Spielen“ (auch als „spectacula“ oder „munera“ bezeich- net) oft um Leben und Tod ging, dass dabei zahllose Menschen (nebst Tieren) ihr Leben verloren oder zumin- dest aufs Spiel setzten. Die Gladiatorenkämpfe zählten zu den beliebtesten Formen der Massenunterhaltung im alten Rom: Vom Sklaven bis zum Superreichen konnte jeder zuschauen. Die Bedeutung der Spiele lässt sich etwa am gewaltigen materiellen Aufwand dafür ablesen: Steinerne Arenen („amphitheatrum“ ; das lateinische Wort „arena“ bedeu- tet ursprünglich „Sand“, später „Kampfplatz“) sind vie- lerorts erhalten geblieben und werden manchmal im- mer noch als Freilichttheater genutzt (z. B. die Arena in Verona für Opernaufführungen, das Amphitheater II in Carnuntum für sommerliche Theaterdarbietungen). Sie finden sich über das ganze Römische Reich verstreut. Diese Spiele hatten ursprünglich kultischen Charak- ter und dienten wohl als Blutopfer für hochrangige Ver- storbene. Im Laufe der Jahre wurde daraus die zentrale Säule der „Unterhaltungsindustrie“, deren Grausamkeit allerdings nur selten kritisiert wurde (vgl. S. 66). Bei den Kämpfen traten nicht nur Menschen unter- schiedlichster gesellschaftlicher Hintergründe (von ver- urteilten Schwerverbrechern bis zu freiwilligen Hasar- deuren) gegeneinander an, sondern es wurden auch wilde Tiere „eingesetzt“ (im Rahmen von sogenannten „venationes“, eigentlich „Jagden“), was von den Römern aber nicht etwa als Tierquälerei, sondern als besonders einfallsreich empfunden wurde. Erfolgreiche Gladiato- ren wurden mitunter regelrecht als Helden gefeiert. In diesem Zusammenhang sei auch darauf verwiesen, dass man ausgebildete Spitzen-Gladiatoren keinesfalls „opferte“, sondern ihnen etwa eine hervorragende medizinische (Wund-)Versorgung zukommen ließ. Dar- auf lassen z. B. anthropologische Forschungen an den Knochen aus dem Gladiatoren-Friedhof in Ephesos schließen. Etwas weniger brutal, aber nicht weniger leiden- schaftlich war die Unterhaltung im Circus. Hier wurden Wagenrennen geboten, für die sich die Römer in hohem Maß begeistern konnten. Die Anfänge des sogenannten „Circus Maximus“, des größten „Stadions“ des antiken Rom, gehen auf das 4. Jh. v. Chr. zurück. Im „Vollausbau“ im 1. Jh. v. Chr. bot er rund 150 000 Zuschauern Platz; die Länge der Rennbahn betrug rund 600 Meter. Ein Rennen umfasste sieben, später fünf Runden, und pro Tag gab es in der Kaiserzeit bis zu 100 Rennen, die von früh bis spät dauerten. Doch die Begeisterung für diese Spiele schien keine Ermüdung zu kennen, wie man etwa aus einem Brief des Plinius erfahren kann. Die Römer lieb- ten aber nicht nur die sportlichen Leistungen von Mensch und Pferd, sondern begeisterten sich oft ein- fach nur für ihre „Partei“, vergleichbar heutigen Fan- clubs im Fußballsport. Diese „Zirkusparteien“ feuerten ihre Favoriten an, die nach den Farben der Rennställe („alba“ = weiß , „ russata“ = rot, „prasina“ = grün und „ve- neta“ = blau) benannt waren. „Die Farbe des Leibchens, an dem man den Jockey der eigenen Partei erkannte, war das, worauf man während der Rennen vor allem starrte“ 1 . Zusätzlich wurde die Stimmung auch durch Wetten aufgeheizt. Das Christentum stand den Spielen im Allgemeinen sehr kritisch gegenüber. Lediglich die Pferderennen im Hippodrom in Konstantinopel überleb- ten den Siegeszug des Christentums und stellten im Byzantinischen Reich bis ins späte Mittelalter hinein eine der zentralen Formen der Massenunterhaltung dar. Es wäre zu kurz gegriffen, würde man die Freizeitge- staltung im alten Rom auf das Thema Spiele (zu denen man auch konventionelle Theateraufführungen oder Konzerte zählen muss) reduzieren. Die vielleicht belieb- teste Form der Freizeitgestaltung war das Besuchen eines öffentlichen Bades, einer Thermenanlage (der lateinische Begriff „thermae“ , eigentlich „Warmbad“, wird immer im Plural gebraucht). Auch hier spricht die archäologische Forschung eine eindeutige Sprache: Thermen lassen sich – in unterschiedlichen Größen und unterschiedlich ausgestattet – im gesamten Römischen Reich, bis in die entferntesten Provinzen nachweisen. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde in Carnuntum eine komplette, funktionstüchtige Thermenanlage über den originalen Grundmauern rekonstruiert. Beim Besuch der Thermen spielten Aspekte der Hygiene ebenso eine Rolle wie ein vielfältiges Sport- und Kulturprogramm. Wie bei den Spielen galt auch hier: Sie waren für alle Gesellschaftsschichten zugänglich (wenngleich die Rei- chen zumeist ein eigenes Privatbad in ihrer Villa hatten). In Romwurden ab der Zeit des Augustus bis in die Spät- antike (4. Jh.) prunkvolle Thermen errichtet, von denen sich bis heute höchst eindrucksvolle Bauteile erhalten haben – ein Teil davon dient als Kirche bzw. Museum (Diokletiansthermen), ein Teil als archäologischer Park (Caracalla-Thermen). 1 Karl-Wilhelm Weeber, Alltag im Alten Rom, Zürich 1995, S.248. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=