Ex libris Latein-Textband
62 Studentenleben Universität im Mittelalter In den Wirren der Völkerwanderungszeit des 4.–6 Jh. fand das antike Bildungswesen im Westteil des Imperium Romanum sein Ende. Die neuen Zentren von Bildung und Forschung wurden die Klöster (vgl. das Motto der Benediktiner: „Ora et labora et lege!“). Als ab dem 11. Jh. im hohen Mittelalter die Städte einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung nahmen, entstanden auch Latein- und Domschulen. Aus ihnen entwickelten sich einerseits unter dem Einfluss der Scholastik, einer theologischen Strömung, die sich u. a. auch auf Aristoteles berief und in Thomas von Aquin ihren berühmtesten Vertreter fand, und andererseits durch Kontakt mit der islamischen Welt (über Süditalien und Spanien) nach und nach die ersten Universitäten des Abendlandes. „Universitas“ heißt eigentlich Zunft. Die Angehörigen einer Hochschule waren in der „universitas magistrorum et scholarium“ zusammengefasst. Es gab ursprünglich nur vier Fakultäten. Die Artistenfakultät war für alle Studenten verpflichtend (anstelle eines Gymnasiums); hier wurden die „septem artes liberales“ („Sieben Freien Künste“) unterrichtet. „Ars“ bedeutet hier so viel wie Unterrichtsfach. Zu den „artes“ gehörten das „Trivium“, das die sprachlichen Fächer Grammatik, Rhetorik und Dialektik umfasste, und das „Quadrivium“, in dem Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik unterrichtet wurden. Dem Absolventen („Baccalaureus“) standen die theologische, juridische und medizinische Fakultät offen. Die akademischen Grade, die man erlangen kann, sind bis heute Baccalaureat, Magisterium und Doktorat. Die bedeutendsten Universitäten des Mittelalters waren: • Bologna: für Jurisprudenz, gegründet 1088 • Paris: für Theologie, gegründet 1150 • Salerno: für Medizin, gegründet 1173 (beeinflusst durch arabische Medizin) Die Universitätsstädte boten ihren Studenten aber nach und nach den Zugang zu allen vier Fakultäten. Jeder Student schloss sich je nach seiner Herkunft einer der meist nach den Himmelrichtungen eingeteilten „Natio- nen“ an. Die älteste Hochschule im deutschen Sprachraum ist Prag (gegründet 1348 durch Kaiser Karl IV.). Bereits 1365 wurde in Wien die „Alma Mater Rudolphina“ durch Rudolf IV. den Stifter gegründet. Erst 1384 erhielt Wien auch mit päpstlicher Zustimmung eine theologische Fakultät. Rudolf der Stifter Der Habsburger Herzog Rudolf IV. (1339–1365) war der bedeu- tendste österreichische Landesfürst des Spätmittelalters. Er stand in steter Konkurrenz zu seinem Schwiegervater Kaiser Karl IV., der in Prag residierte und ihn bei seiner Neuordnung der Königs- wahl in der „Goldenen Bulle“ übergangen hatte. Den Habsburgern war nämlich die Kurfürstenwürde vorenthalten worden. Rudolf versuchte zunächst mit einer Urkundenfälschung seine Stellung als Fürst aufzuwerten, u. a. durch den Titel „archidux“ (Erzherzog). Dieses sogenannte „Privilegium Maius“ wurde allerdings vom Humanisten Petrarca als Fälschung enttarnt und erst ein Jahrhun- dert später vom Habsburger Kaiser Friedrich III. anerkannt. Rudolf aber widmete sich der Ausgestaltung seiner Residenz Wien, die der des Kaisers in Prag in nichts nachstehen sollte. So begann er mit dem gotischen Ausbau der Stephanskirche und setzte damit die ersten Schritte zur Erhebung Wiens zum Bischofssitz, die allerdings erst 1464 erfolgte. Genauso wie Prag sollte auch Wien eine Universität haben, die Rudolf im März 1365 gründete. Diesen und ähnlichen Maßnahmen verdankte er auch seinen Beinamen „der Stifter“. Rudolf starb mit nur 26 Jahren bei einer Reise nach Mailand und wurde im Stephansdom begraben. Kunstgeschicht- lich bedeutsam ist sein zeitgenössisches Porträt, weil es erstmals die Gesichtszüge eines Herrschers wirklichkeitsgetreu in Vorder- ansicht wiedergibt. Rudolf IV. der Stifter, Porträt, eines unbekannten Künstlers, um 1365, Domschatz, Wien Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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