Ex libris Latein-Textband
57 Essen und Trinken | Der Mensch in seinem Alltag Ein weiteres Stereotyp über das Wiener Leben wird auf der Homepage www.wien-bilder.at so erklärt: Der Wiener Schmäh charakterisiert den Wiener Humor und kann in jeder Art der Kommunikation ver- wendet werden. Er ist schwer zu definieren, da im typischen Wiener Schmäh viel Humor, Sarkasmus, Arglist, Melancholie und Boshaftigkeit zu finden ist, das ganze gibt es in freundlichen, morbiden, granteln- den (schlecht gelaunt), raunzenden und charmanten Versionen, oder auch alles in Einem. Wisst Ihr jetzt was gemeint ist? Lachen ist eine sehr wichtige Eigenschaft der Österreicher und besonders der Wiener, daher hat Wien eine große Kabarett-Tradition und viele Kleinkunstbühnen mit großartigen Komödianten und Satiri- kern. Häufig wird der Wiener Schmäh mit dem Wiener Charme verwechselt, Charmantes ist zwar dabei, aber der Schmäh setzt eine ironisch-zynische Distanz voraus. Ebenso wird er mit der Wiener Gemütlichkeit assoziiert, diese ist auch im Wiener Schmäh zu finden, aber es zeichnet ihn auch eine gewisse Unfreundlich- keit, Hintergründigkeit, Übertreibung und Schlitzohrigkeit aus. Beim geselligen Zusammensein „läuft“ oft der Schmäh als derb-liebenswerte und meist nicht ganz ernst gemeinte Form der Unterhaltung, was oft für Außenstehende den Anschein des Oberflächlichen und des Nicht-Ernst-Nehmens hat. Reproduktion, Transfer und Reflexion • Fasse den Inhalt des lateinischen Textes in eigenen Worten zusammen und charakterisiere die Bevölkerung Wiens nach Piccolominis Beschreibung (R) . • Gib einen kurzen Überblick über das Leben des Autors und erläutere, woher seine genaue Kenntnis über das Leben in Wien stammt (R) . • Vergleiche denText über den „Wiener Schmäh“ mit dem lateinischen Text (T) . • Lege ausgehend von beiden Texten deine eigene Meinung zu Stereotypen und deren Verwendung dar (X) . In vino feritas! 1 Piccolomini fährt fort über die Lebensgewohnheiten der Wiener zu berichten: Ceterum in tanta et tam nobili civitate multa enormia 2 sunt. Die noctuque rixae 3 ad 4 modum proelii geruntur. Nunc artifices 5 contra studentes, nunc curiales 6 in artifices 5 , nunc isti opifices 7 adversus alios arma sumunt. Rara celebritas 8 absque 9 homicidio peragitur, frequentes caedes committuntur. Ubi rixa 3 est, non sunt, qui dividant contendentes; neque magistratus neque principes custodiam 10 , ut 11 par 11 esset 11 , ad tanta mala adhibent. Vinum domi vendere nihil existimationi 12 officit 12 : Omnes fere cives vinarias tabernas colunt 13 , stubas 14 calefaciunt 14 , coquinam instruunt, bibulos et meretrices 15 accersunt 16 hisque cibi aliquid cocti gratis 17 praebent, ut amplius 18 bibant; sed minorem mensuram 19 his dant. Plebs ventri 20 dedita, vorax, quidquid hebdomadā 21 manu quaesivit 22 , id festo die totum absumit. Lacerum 23 et incompositum 24 vulgus; meretricum 15 maximus numerus. (...) Pauci in civitate sunt, quorum proavos vicinia norit 25 . Rarae familiae vetustae, advenae aut inquilini 26 fere omnes. Piccolomini, Briefwechsel, in: Fontes rerum Austriacarum, II. Abt., Diplomataria et acta, Bd. 61 (Hrsg. R. Wolkan, 1909), S.83 (gekürzt) M Übungsteil S. 14 II 1 feritas, -atis f .: Wildheit 2 enormis, -e: ungewöhnlich 3 rixa, -ae f .: Kampf 4 ad (+ Akk. ): hier: nach 5 artifex, artificis m .: Hand- werker 6 curialis, -is m .: Höfling 7 opifex, opificis m .: Arbeiter 8 celebritas, -atis f .: Fest 9 absque = sine (+ Abl. ) 10 custodia, -ae f .: Wache 11 ut par esset: wie es sich eigentlich gehörte 12 existimationi offícere 3 M: dem Ruf schaden 13 cólere 3 : betreiben 14 stubas calefácere 3 M: die Stuben heizen 15 meretrix, meretricis f .: Prostituierte 16 accérsere 3 : herbeiholen 17 gratis ( Adv .): kostenlos 18 amplius ( Adv .): hier : weiter 19 mensura, -ae f .: hier: Menge 20 venter, ventris m .: Magen 21 hebdomada, -ae f .: Woche 22 quaérere 3 , -sívi: hier : erwerben 2 4 6 8 10 12 14 23 lacer, -era, -erum: zerlumpt 24 incompositus, -a, -um: ungepflegt 25 norit = noverit 26 inquilínus, -i m .: Zuwanderer Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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