Ex libris Latein-Textband

56 Essen und Trinken Der Mensch in seinem Alltag In der „Vinaria“, einer Zeitschrift für Weinkultur, wird die Bedeutung des Weins für Wien so dargestellt: Seit mehr als 25 Jahren begleitet mich der Wiener Wein – und ich begleite ihn. Zuerst nur als Konsument, denn als ich im Jahr 1986 nach Wien gekommen bin, fiel mir gleich der Heurige positiv auf. Nicht so sehr wegen der Weinqualität, die war von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich, aber wegen der Möglichkeit, in wenigen Autominuten oder einfach mit Bim und Bus vom stickigen Stadtzentrum hinaus in die Weingärten zu fahren, dort ein bisschen spazieren zu gehen und sich dann mit einem Glas Wein und einer Jause in einen hübschen Garten oder einen gemütlichen Innenhof zu setzen. (…) Und wenn man dann auf den Geschmack kommt … dann kommt man einfach wieder, aber diesmal mit dem Auto und einem leeren Kofferraum. Oder man trinkt die Weine der Wiener Spitzenwinzer in einem Wiener Wirtshaus oder kauft sie sich in der City für den Hausgebrauch – denn der Wiener Wein hat die Stadt längst erobert. Alltag im mittelalterlichen Wien Enea Silvio Piccolomini (vgl. S. 28), der spätere Papst Pius II., berichtet in seiner „Historia Friderici III“ Folgendes über Wien: Incredibile videri potest, quot per dies singulos in civitatem victualia 1 ingeruntur 2 , ovorum 3 atque cancrorum multae quadrigae adveniunt; pistus 4 panis, carnes, pisces, volatilia 5 sine numero afferuntur. Ubi advesperascit, nihil venale 6 ex his invenies. Vindemia 7 hic ad quadraginta dies protenditur, nullo 8 non 8 die trecenti currus onusti vino bis 9 terque 9 inferuntur, ducentos et mille equos in dies ad opus vindemiarum 7 exercent 10 . Et villis 11 praeterea ad festum a usque Martini a libertas omnibus est vinum in urbem redigere 12 . Incredibile dictu 13 est, quanta vis 14 inducatur vini, quod vel Viennae bibitur vel ad extraneos 15 per Danubium contra cursum aquae magno labore mittitur. Ex vino, quod Viennae venditur minutim 16 , decimus denarius b principi cedit. Ea res auri 17 duodecim 17 milia 17 quotannis ad cameram 18 defert, in 19 reliquum 19 parum 20 oneris civibus inest 21 . Piccolomini, Briefwechsel, in: Fontes rerum Austriacarum, II. Abt., Diplomataria et acta, Bd. 61 (Hrsg. R. Wolkan, 1909), S.82f. M Übungsteil S. 14 I 1 victualia, -ium n. Pl .: Lebens- mittel 2 ingérere 3 : einführen 3 ovum, -i n .: Ei 4 pistus, -a, -um: fein gebacken 5 volatilia, -ium n. Pl .: Geflügel 6 venalis, -e: käuflich 7 vindemia, -ae f .: Weinlese 8 nullus (-a, -um) non: jeder 9 bis ( Adv .) … ter ( Adv .): zweimal … dreimal 10 exercére 2 : ohne Rast beschäftigen 11 villa, -ae f .: Haus, Hof 12 redígere 3 : hier : liefern 13 dictu ( Supinum auf -u ): zu sagen 14 vis, vim, vi f .: hier : Menge 15 ad extraneos: ins Ausland 16 minutim ( Adv .): im Einzel- handel 17 auri duodecim milia: 12000 Gulden ( Goldmünzen ) 18 camera, -ae f .: Schatzkammer 19 in reliquum: im Übrigen 20 parum ( Adv .): wenig 21 inesse (+ Dat .): auferlegt sein 2 4 6 8 10 12 a (dies) festus (-i m .) Martini: Festtag des Heiligen Martin (11. November) b denarius, -i m .: Taler (Silbermünze) Reproduktion, Transfer und Reflexion • Gib in eigenen Worten einen Überblick über die wirtschaftliche Situation in Wien im 15. Jh. (R) . • Stelle ausgehend vom lateinischen Text die Bedeutung des Weinbaus für Wien im 15. Jh. dar und erkläre, warum auch der Kaiserhof Interesse an der Produktivität des Weinbaus hatte (R) . • Vergleiche nun Piccolominis Darstellung mit dem Bericht über den Wiener Weinbau aus der Zeitschrift „Vinaria“ (T) . Nur zu Prüfzwecken – E g ntum des Verlags öbv

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