Ex libris Latein-Textband
54 Politik und Rhetorik | Antike Staatsphilosophie Platons Staatsutopie Der griechische Philosoph Platon beschreibt in seiner „Politeia“ seine Vorstellungen eines idealen Staatswesens. Im Zentrum dieses Dialogs, der zehn Bücher umfasst, steht einmal mehr Sokrates, dem Platon seine Gedanken in den Mund legt. In seinem utopischen Idealstaat ist die Gesellschaft streng hierarchisch geordnet. Der Mensch zählt nur in seiner Funktion für den Staat. Der staatliche Zentra- lismus dringt in alle Lebensbereiche: So gibt es etwa keine Familie und keinen Privatbesitz. Alles ist staatlich gelenkt. Die Gliederung der Gesellschaft wird im folgenden Schema deutlich, in dem auf Basis der Gerechtigkeit jedem Stand die ihm gebührende Tugend und Funktion zugeteilt wird: Genau in der Mitte seiner „Politeia“ lässt Platon Sokrates darüber sprechen, wer in seinem Staat die Herrschaft innehaben soll: Wenn nicht entweder die Philosophen Könige werden in den Städten, sagte ich, oder die, die man heute Könige und Machthaber nennt, echte und gründliche Philosophen werden, und wenn dies nicht in eines zusammenfällt: die Macht in der Stadt und die Philosophie, und all die vielen Naturen, die heute ausschließlich nach dem einen oder dem anderen streben, gewaltsam davon ausgeschlossen werden, so wird es, mein lieber Glaukon, mit dem Elend kein Ende haben, nicht für die Städte und auch nicht, meine ich, für das menschliche Geschlecht. Und eher wird auch die Staatsverfassung, die wir vorhin beschrieben haben, nicht – soweit das überhaupt möglich ist – verwirklicht werden noch das Licht der Sonne erblicken. Doch das ist es eben, was ich schon lange nicht zu sagen wage, weil ich nämlich sehe, wie sehr meine Worte der allgemeinen Meinung zuwiderlaufen. Denn es ist schwer einzusehen, dass nur in einer solchen Stadt das Glück für den einzelnen und für die Gesamtheit zu finden sein sollte. (Platon, Politeia, 5,473 c–d; Übersetzung: Rüdiger Rufener) Tugend Stand Funktion Weisheit (sophía/prudentia 1 Philosophen 1 Herrschaft Tapferkeit (andreía/fortitudo) 1 Wächter 1 Ordnung Bescheidenheit (sophrosýne/temperantia) 1 Handwerker 1 Versorgung Gerechtigkeit (dikaiosýne/iustitia) Voraussetzung für den Idealstaat Kritik an Platon Der Philosoph Sir Karl Popper wendet sich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges mit seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ gegen jegliche Art der totalitären Herrschaft. Bezüglich Platon kommt er zu folgendem Schluss: Es ist meine Überzeugung, dass Platon dadurch, dass er das Problem der Politik in Form der Frage stellte „Wer soll herrschen?“ oder „wessen Wille soll der höchste sein?“, die politische Philosophie gründlich verwirrt hat. (…) Denn sogar jene Philosophen, die Platon in dieser Hinsicht folgen, geben zu, dass die politischen Führer nicht immer hinreichend „gut“ oder „weise“ sind (wir brauchen uns um die genaue Bedeutung dieser Begriffe nicht den Kopf zu zerbrechen) und dass es nicht leicht ist, eine Regierung zu erhalten, auf deren Güte und Weisheit man sich unbedingt verlassen kann. Ist das einmal zugegeben, so erhebt sich die Frage, ob sich das politische Denken nicht von Anfang an mit der Möglichkeit schlechter Regierungen vertraut machen sollte; ob wir nicht gut daran täten, uns auf die schlechtesten Führer vorzubereiten und auf die besten zu hoffen. Aber das führt zu einer neuen Betrachtung des Grundproblems der Politik; denn es zwingt uns, die Frage „Wer soll regieren?“ durch die neue Frage zu ersetzen: „Wie können wir politische Institutionen so organisieren, dass es schlech- ten oder inkompetenten Herrschern unmöglich ist, allzu großen Schaden anzurichten?“ Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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