Ex libris Latein-Textband
51 Antike Staatsphilosophie L6 Schon die Griechen gingen der Frage nach der besten Staatsform nach. Bei Herodot, dem Begründer der Geschichtsschreibung (5. Jh. v. Chr.), liest man eine Debatte, ob das Perserreich von allen Vollbürgern, den besten Männern oder einem Alleinherrscher regiert werden solle (Historien 3,80–82). Im frühen 4. Jh. v. Chr. entwarf der Athener Platon (5./4. Jh. v. Chr.) in seinem Dialog „Politeia“ das utopische Ideal des Philosophenkönigtums (vgl. S. 54). Sein Schüler Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) wiederum analysierte die bestehenden Verfassungen der griechi- schen Welt und kam zu dem Schluss, dass man einem Staatswesen, in dem der Mittelstand das Sagen habe („Politie“), den Vorzug geben müsse. Die klassische Staatsphilosophie kennt drei Staatsformen, die jeweils auf den Träger der Herrschaft, d. h. auf die Person oder Gruppe, die Herrschaft ausübt, ausgerichtet sind. Jeder dieser Grundformen wird jeweils auch eine aus ihr hervorgehende entartete Form zugeordnet: Staatsform Herrschaft (arché / krátos) liegt bei entartete Form MONARCHIE einem (mónos) TYRANNIS (týrannos: Gebieter) ARISTOKRATIE den Besten (áristoi) OLIGARCHIE (olígoi: wenige) DEMOKRATIE dem Volk (dêmos) OCHLOKRATIE (óchlos: Pöbel) Die Beobachtung, dass keine der drei Herrschaftsformen unbeschränkt andauert, führte unter den antiken Staatstheoretikern zu der Annahme eines Kreislaufes. Der griechische Historiker Polybios (2. Jh. v. Chr.) ent- wickelte dazu das folgende Schema: In Rom machte man sich solche Gedanken erst, als die über ein Weltreich herrschende Republik in eine existen- zielle Krise geraten war. Caesar, Crassus und Pompeius hatten 60 v. Chr. die Macht mit dem ersten Triumvirat an sich gerissen und regierten an der bestehenden Verfassung vorbei. Da war es der Anwalt und Politiker M. Tullius Cicero (106 –43 v. Chr., vgl. auch S. 33), der seine Vorstellungen eines Idealstaates in der Schrift „De re publica“ formulierte. Mit dem Titel und der Dialogform knüpfte er zwar an Platons „Staat“ an, entwarf dabei aber keine Staatsutopie, sondern rief seinen Mitbürgern das Idealbild ihrer Republik in Erinnerung. Gesprächspartner sind hier P. Cornelius Scipio Africanus Minor, der Zerstörer Karthagos 146 v. Chr., und seine Freunde („Scipionenkreis“). Das Werk ist nur fragmentarisch erhalten, der Inhalt aber im Wesentlichen rekonstruierbar. • Buch 1: Definition des Staates, Staatsformen • Buch 2: römische Mischverfassung als Ideal • Buch 3: Gerechtigkeit als Grundlage des Staates • Buch 4: Erziehung der Jugend • Buch 5: der ideale Staatsmann • Buch 6: Lohn des Staatsmannes („Somnium Scipionis“) Jahrhunderte lang war nur der Schlussteil des Werkes, das „Somnium Scipionis, bekannt. 1819 entdeckte man einen Palimpsest, der etwa ein Viertel der gesamten Schrift enthielt. Unter Palimpsest versteht man ein abgeschabtes und wiederbeschriebenes Pergament. Mit chemischen Mitteln war es möglich, den ursprünglichen Text wieder lesbar zu machen. Monarchie Ochlokratie Tyrannis Demokratie Aristokratie Oligarchie Palimpsest, Vaticanus Lat. 5757, fol. 277r, Vatikanische Bibliothek, Rom Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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