Ex libris Latein-Textband

25 Das Gastmahl des Trimalchio L6 C. Petronius Arbiter lebte im 1. Jh. n. Chr. und gehörte als Freund Kaiser Neros zur feinen Gesellschaft Roms. Wie der Historiker Tacitus berichtet, betrachtete ihn der Kaiser als „Schiedsrichter in Geschmacksfragen“ („ele- gantiae arbiter“, Tacitus, Annalen 16,18). Nach der Ent- fremdung von Nero – der eifersüchtige Gardepräfekt Tigellinus hatte ihn angeschwärzt – nahm sich Petron selbst das Leben, um so dem Kaiser zuvorzukommen. Dabei inszenierte er seinen Tod als Fest: „Da ertrug er es nicht mehr, mit Furcht und Hoffnung so lange hingehalten zu werden. Doch warf er das Leben nicht überstürzt von sich, sondern ließ sich die Puls- adern aufschneiden, dann, wie es ihm einfiel, verbinden und wieder öffnen und unterhielt sich dabei mit den Freunden, nicht über ernsthafte Dinge oder mit Worten, die ihm den Ruhm einer festen Haltung einbringen konnten. Auch hörte er zu, wenn sie etwas vortrugen, aber nicht etwa über die Unsterblichkeit der Seele und die Lehren der Weisen, sondern leichtfertige Lieder und gefällige Verse (…). Er ging zu Tisch, gab sich dem Schlaf hin, damit sein gleichwohl erzwungener Tod einem natürlichen ähnlich sei.“ (Tacitus, Annalen, 16,19 [gekürzt]; Übersetzung: Erich Heller) Das einzige von Petron erhaltene Werk trägt den Titel „Satyricon“. Es handelt sich dabei um einen – nur bruch- stückhaft erhaltenen – witzigen Abenteuerroman, des- sen Vorbild die Odyssee war. Hauptheld ist ein gewisser Encolpius, der mit seinen beiden Freunden Giton und Ascyltus verschiedene Abenteuer (darunter so manches erotische) bestehen muss. Der bekannteste Ausschnitt des Romans ist die soge- nannte „Cena Trimalchionis“ (das Gastmahl des Trimal- chio): Encolpius und seine Freunde sind Gäste des Neu- reichen Trimalchio, eines freigelassenen Sklaven aus dem Orient, der zum Multimillionär aufgestiegen ist. Trimalchio protzt nicht nur mit seinem Reichtum, son- dern auch mit seiner „Bildung“, wenn er etwa selbst beginnt, im Stil eines Homer Verse zu schmieden und damit seine Gäste zu beglücken. Natürlich gibt es bei Tisch auch ein Orchester, Tänzer und viele Überraschun- gen für die Gäste. Letztere stammen allesamt aus dem unteren sozialen Milieu, wie man am Niveau ihrer Ge- spräche ablesen kann. Trimalchio ist zwar eine erfundene Figur, steht aber für die Reichen der damaligen Zeit, denen es oft an gu- tem Geschmack mangelte und die mit ihrem Geld nur auftrumpfen wollten. Die Beschreibung der Party und des ganzen Drumherums (das Haus, die Sklaven, das Bad, die Speisen…) ist im Detail sehr realistisch, wie man an den Ausgrabungen in den noblen Häusern von Pompeji sehen kann (z. B. Einrichtungsgegenstände, Geschirr, Wandmalereien …). Die verwendete Sprache ist ein Latein mit vielen gram- matikalischen Fehlern und vulgären Ausdrücken, so wie es die Menschen aus unteren Gesellschaftsschichten wirklich gesprochen haben könnten, allerdings „in lite- rarischer Brechung“ 1 . Der Text ist trotzdem eine der wichtigsten Quellen für das im Alltag gesprochene Latein. 1 Petronius, Cena Trimalchionis. Gastmahl bei Trimalchio, Lateinisch/Deutsch. Hrsg. und übers. von Konrad Müller und Wilhelm Ehlers, München 1988, S.8. Das „Satyricon“ geriet im Mittelalter weitgehend in Vergessenheit und wurde erst in der Neuzeit rezipiert. So etwa findet sich die Figur des Petron im Roman „Quo vadis?“ des polnischen Literaturnobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz (1846–1916) wieder. Die „Cena Trimalchionis“ wurde 1969 von dem italie- nischen Regisseur Federico Fellini in freier Paraphrase verfilmt. Fellini erkannte in dem Text verblüffende Parallelen zwischen der römischen und der heutigen Gesellschaft, beide geprägt von moralischen Auflö- sungserscheinungen. Aus seinem 1983 auf Deutsch her- ausgegebenen Drehbuch geht hervor, dass sich Fellini eng an das Original anlehnt; einige Textpassagen er- scheinen sogar in lateinischer Sprache (was im Film selbst nicht verwirklicht wurde). Als Schauspieler wähl- te Fellini zum Großteil Leute von der Straße, um die Szenerie noch echter wirken zu lassen. Französisches Filmplakat zu Fellinis Film „Satyricon“ (1969) Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=