Ex libris Latein-Textband

191 Erweiterungsvokabular | Fachsprachen und Fachtexte Dichtung L6 Metrik Vorbemerkung: Im Gegensatz zu heute wurden sprachliche Rhythmen in der Antike nicht durch den Wortakzent hervorgerufen, sondern sie entstanden durch eine geregelte Abfolge von langen und kurzen Silben. Die Grund- bausteine für jedes Versmaß sind entsprechende Silbenkombinationen, die man als Versfüße bezeichnet. Einige wichtige Versfüße sind: Jambus Trochäus Daktylus Spondéus Silbenfolge kurz – lang lang – kurz lang – kurz – kurz lang – lang Schema: Da wir die Unterschiede zwischen langen und kurzen Silben nicht mehr heraushören, müssen wir beim Lesen antiker Verse manche Silben betonen, um so einen Rhythmus erfahrbar zu machen. Endet ein Wort auf einen Vokal oder auf „-m“ und beginnt das folgende mit einem Vokal oder „h-“, wird in der Regel die Schlusssilbe des ersten Wortes „verschliffen“, also nicht gesprochen (Synizese = Vereinigung): „suaqu e ill um oracula“, sprich „suaqu’ ill’ oracula. Ist aber das zweite Wort ein „est“, wird davon das „e-“ weggelassen (Aphärese = Wegnahme): „fuga e st“, sprich „fuga ’st“. Um also einen Vers metrisch richtig aufzuschlüsseln und die Betonungen richtig zu setzen, muss man herausfin- den, welche Silben lang oder kurz sind. Betont kann immer nur eine lange Silbe sein. Manche Silben sind von Natur aus lang. Zu solchen Naturlängen gehören Diphthonge (Zwielaute: „ae“, „au“, „oe“, „eu“), aber auch viele Endungen (z. B. Ablativ Singular der vokalischen Deklinationen oder jeder Akkusativ Plural, maskulin und feminin). Im Wörterbuch sind Naturlängen jeweils durch einen Balken über dem Vokal gekennzeichnet. Andere Silben gelten erst durch ihre Stellung im Vers als lang (Positionslänge), das passiert dann, wenn auf einen Vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen (auch wortübergreifend): „quodque cupit, sperat“. Diese Regel kann aber außer Kraft gesetzt werden, besonders wenn der zweite Konsonant ein „l“ oder „r“ ist: So kann das „a“ bei „patris“ sowohl lang als auch kurz gemessen werden. L6 Hexameter Der Hexameter besteht an sich aus fünf Daktylen und einem Trochäus. Er weist also sechs (griech. „hex“) Betonungen auf. Dabei sind immer die erste und die vorletzte Silbe betont. Jeder Daktylus kann allerdings durch einen Spondéus ersetzt werden. Das gilt auch für den Trochäus am Ende. Die letzte Silbe kann also kurz oder lang sein (Zeichen: X). Der vorletzte, fünfte Versfuß hingegen bleibt fast immer ein Daktylus. Jeder Vers hat ein bis maximal drei endbetonte Wörter. Die kurze Sprechpause danach bezeichnet man als Zäsur (= Einschnitt). Nach der letzten gilt dieselbe Betonung wie in Prosa. L6 Schema des Hexameters Beispiel für Hexameter (Ovid, Metamorphosen 1,490–491) Phoebus amat visaeque cupit co-nu--bi-a Daphnes, quodque cupit, spe–rat, suaqu e ill um o–ra–cula fallunt. L6 Elegisches Distichon (= Zweizeiler) Das elegische Distichon (Zweizeiler) erkennt man im Schriftbild bereits daran, dass die zweite Zeile jeweils etwas eingerückt ist. Auf einen Hexameter in der ersten Zeile folgt dabei ein Pentameter, der mit jeweils zwei Daktylen und einer langen, betonten Silbe beginnt und endet. Dabei stoßen in der Mitte des Verses zwei betonte Silben aneinander (Mittelzäsur). Im zweiten Versteil werden die Daktylen nie durch einen Spondéus ersetzt, er sieht also metrisch immer gleich aus. Die betonte Schlusssilbe des Pentameters kann allerdings auch kurz sein. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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