Ex libris Latein-Textband

170 Fachsprachen und Fachtexte | Rechtstexte Medizinische Texte Medizin im alten Rom und im Mittelalter Von Apollo zu Äskulap: Die mythische Periode der Medizin In der mythischen Zeit schrieb man Krankheiten (wie z. B. Seuchen) ebenso wie deren Heilung den Göttern zu. Apollo war etwa dafür verantwortlich, dass das Heerlager der Griechen im Trojanischen Krieg von einer Pest heimgesucht wurde. Später verdrängte dessen Sohn Asklepios (lat. Aesculapius) Apollo als Heilgott. Bei Homer war Asklepios noch ein sterblicher Arzt gewesen, der zusammen mit seinen beiden Söhnen die verwundeten Griechen versorgte. Detaillierte Beschreibungen von Wunden und ihrer Behandlung zeigen, dass das Wissen auf diesem Gebiet schon ziemlich groß war. Asklepios wurde der Überlieferung nach in Epidauros auf der Peloponnes geboren. Dort entstand im 6. Jh. v. Chr. das größte Asklepios-Heiligtum der antiken Welt. Kranke kamen hierher, um sich mit verschiedenen religiösen Handlungen auf eine Begegnung mit Asklepios einzustellen. Danach schliefen sie im Tempel des Gottes, wo ihnen Asklepios im Traum erschien, ihnen Ratschläge gab oder die Kranken direkt heilte. Viele Inschriften und literarische Texte berichten von außergewöhnlichen Heilungen. Der Asklepioskult breitete sich ab dem 4. Jh. auf das gesamte Mittelmeergebiet aus. Im Jahre 293 v. Chr. kam eine römische Gesandtschaft wegen einer Seuche nach Epidauros und nahm eine Äskulap-Natter mit. In Rom kroch das Tier aus dem Schiff auf die Tiberinsel, auf der man daraufhin einen Äskulap-Tempel errichtete. Die Tiberinsel wurde zu einem Zufluchtsort vor allem armer Kranker. Bis heute gibt es auf der Insel ein Krankenhaus. Philosophie und Medizin Mit dem Aufkommen der Philosophie (6. Jh. v. Chr.) kamen Zweifel am mythischen Weltbild auf: Die Götter genügten nicht mehr zur Erklärung der Welt, die Menschen wollten vielmehr „hinter die Dinge“ blicken. Daher wurden Naturvorgänge im Allgemeinen und Krankheiten im Besonderen nicht mehr als Wirkungen der Götter, sondern als naturgegeben erklärt. Die Philosophie wurde zur Grundlage der medizinischen Forschung 1 . Zu den allerersten Vertretern der griechischen Medizin zählt Hippokrates von Kos (um 460–375 v. Chr.). Er stammte aus der Ärztefamilie der Asklepiaden, die sich direkt auf den Gott Asklepios zurückführte. Er vertrat die Ansicht, dass Krankheiten rational erklärbare Prozesse sind. Hippokrates dokumentierte als erster Arzt Krankhei- ten und ihren Verlauf. Er beschrieb Behandlungsmethoden auch dann, wenn sie negativ ausgingen. Gesunde Lebensweise war ihm wichtig. Ein ihm zugeschriebener Satz lautet: „Übung kräftigt, Untätigkeit lässt zerfallen.“ Seine eigene Arbeit und die seiner Schüler wurde in den 70 Büchern des sogenannten Corpus Hippocraticum zusammengefasst (entstanden 5.–3. Jh. v. Chr.; der Begriff „Corpus“ bezeichnet in der Literatur eine umfassende Textsammlung). Grundlage der Lehre des Hippokrates ist die sogenannte Viersäfte-Lehre: Alle Krankheiten entstehen durch ein Ungleichgewicht der vier Körpersäfte: Blut (sanguis) – Galle (cholos) – Schwarze Galle (melancholía) – Schleim (phlegma). Im Krankheitsfall sollte der Arzt dafür sorgen, dass das Mischungsverhältnis der humores (lat: Flüssigkeit, Saft) wieder ins Gleichgewicht kommt. Überschüssiges Blut wurde z. B. durch den Aderlass abgelassen. Andere Maßnahmen waren: Urinausscheidung, Schwitzen, Darmentleerung. Jeder Saft entsteht nach dieser Lehre in einem bestimmten Körperteil (z. B. das Blut im Herzen) und jeder der vier Säfte wird einer bestimmten Seelenstimmung zugeordnet (erst ab dem Mittelalter sprach man von den vier Tempera- menten Sanguiniker , Phlegmatiker , Choleriker und Melancholiker). Medizin in Alexandria Alexandria war durch Alexanders des Großen ehemaligen General Ptolemäus I. gegründet worden und sehr bald zum Zentrum der Wissenschaften in der Alten Welt geworden. Das galt u. a. auch für die Medizin. Der Begründer der medizinischen Schule von Alexandria war Herophilos von Chalkedon (um 335–250 v. Chr.), der als Erster auch Leichen sezierte. Nirgends war deshalb das anatomische Wissen so groß wie in Alexandria. Herophilos erforsch- te auch das Gehirn und erkannte in ihm den Sitz des Denkens (davor lokalisierte man diesen im Herz). Er befasste sich auch mit der Funktionsweise des Pulses und schrieb ein Lehrbuch für Hebammen. Sein Kollege Erasistratos von Keos (um 320–245 v. Chr.) führte bereits Operationen im Bauchbereich durch, wobei es ihm gelang, Verblutungen durch die sogenannte Gefäßligatur (= Gefäßunterbindung) zu verhindern. 1 Vgl. das Sprichwort „medicina soror philosophiae“ (nach Tertullian, De anima 2,6). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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