Ex libris Latein-Textband

164 Fachsprachen und Fachtexte | Rechtstexte Dieses Werk besteht: 1. aus den „Institutiones“ des Justinian, einem Lehrbuch mit Gesetzeskraft, das bis ins 19. Jh. hinein als eine Art „Quintessenz des Privatrechts“ für das Jus-Studium maßgeblich war; 2. aus den sogenannten Digesten (von „digérere“ = ordnen, verteilen): Tribonian und seine Helfer bearbeiteten (d. h. sie exzerpierten, fassten zusammen, kürzten …) insgesamt rund 2000 Gesetzbücher . Die Digesten enthal- ten Gesetze, nach thematischen Gesichtspunkten geordnet, sowie dazugehörige Kommentare von Juristen, die als Richtlinie für die Interpretation dienen können; 3. aus dem sogenannten Codex: Das sind Gesetze („Constitutiones“) der Kaiser, die mit Hadrian (117–138) beginnen und ihren Schwerpunkt bei den Gesetzen der Kaiser Diokletian (284–305) und Justinian haben. – Dazu kamen später weitere, ergänzende Gesetze hinein, die sogenannten „Novellae“. Die Bezeichnung „Corpus iuris civilis“ geht auf den Humanisten Denis Godefroy zurück, der 1583 eine gedruckte Gesamtausgabe veranlasste. Das Weiterleben des römischen Rechts Das römische Recht wurde im Laufe der europäischen Geschichte unterschiedlich rezipiert: Während seine Kenntnis im frühen Mittelalter in West- und Mitteleuropa kaum nachweisbar ist, setzte um 1100 mit der Entste- hung der Universitäten (v. a. Bologna) eine gezielte und bewusste Rezeption des römischen Rechts, vor allem im Heiligen Römischen Reich, ein. Doch auch im mittelalterlichen Frankreich wurde es rezipiert – hier jedoch „non ratione imperii“ , also nicht kraft einer kaiserlichen Anordnung (Frankreich war kein Teil des Heiligen Römischen Reiches), sondern „ imperio rationis“, also kraft seiner inneren Qualität. Das römische Recht gehörte „als wich- tigster Teil des „ius commune“ (gemeines, d. h. allgemeines Recht) (…) im ausgehenden Mittelalter und in der Neuzeit bis an das Ende des 18. bzw. 19. Jh. zum juristischen Gemeingut der europäischen Staaten“ (Theo Mayer-Maly, österreichischer Rechtswissenschaftler). Bis heute sind die vom römischen Recht entwickelten Problemlösungsmuster auch in modernen nationalen Rechtssystemen wirksam. Vom römischen Recht wurde fast ausschließlich das Privatrecht 1 rezipiert, das die Bereiche Personenrecht, Familienrecht, Erbrecht, Sachenrecht (bei dem es um Eigentum und Besitz geht) und Schuldrecht umfasst (bei dem es etwa um Verträge oder Schadenersatz geht). Besonders die letzten drei Bereiche wirken stark im modernen Recht weiter. Darüber hinaus findet eine Prägung durch das römische Recht ganz allgemein im modernen juristischen Denken statt. Nicht zuletzt in allgemeinen Formeln, Sprichwörtern und Fachausdrücken, die zum Teil in die Alltagssprache eingegangen sind, ist das römische Recht vielfach präsent. 1 Das Recht besteht aus zwei großen Bereichen, dem Privatrecht, in dem es um die Ordnung von Rechtsverhältnissen einzelner Personen geht, und dem Staatsrecht, in dem es um die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt geht. Zu Letzerem gehört auch das Strafrecht. Kaiser Justinian I. auf einem Mosaik des 6. Jh. in der Kirche San Vitale in Ravenna. – Ravenna war im 5. Jh. Hauptstadt des Weströmischen Reiches und danach Sitz des byzanti- nischen Statthalters in Italien. Unter Justinian entstanden dort mehrere große Kirchen, deren prachtvolle Mosaikaus- stattung sich großteils erhalten hat. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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