Ex libris Latein-Textband

163 | Fachsprachen und Fachtexte Rechtstexte Fachsprachen und Fachtexte Vorgeschichte: Rechtstexte im Alten Orient Einer der ältesten vollständig erhaltenen Gesetzestexte der Welt ist der sogenannte Codex Hammurabi, benannt nach dem gleichnamigen babylonischen König (1792–1750 v. Chr.): Auf einer steinernen Stele (einer Art freiste- hender Säule) sind über 280 Gesetze eingraviert. Diese Stele befindet sich heute im Louvre in Paris. Der Begriff „codex“ meint ursprünglich ein Buch, in dem man blättern kann wie in einem modernen Buch (anders als der liber , die Schriftrolle), und wurde später zum Synonym für Gesetzbuch bzw. Gesetzessammlung. Aus dem Vorderen Orient hat sich noch eine weitere bedeutende Gesetzessammlung in literarischer Form erhalten, nämlich die fünf Bücher Mose des Alten Testaments, die in der jüdischen Religion als Thora (Gebot, Weisung) bezeichnet werden. Diese Texte enthalten neben den bekannten Zehn Geboten (griech. Dekalog) und vielen Vorschriften, die die Religion betreffen, auch zivil- und strafrechtliche Bestimmungen, die dazu dienen, das Zusammenleben der Israeliten zu regeln. Die Entstehung des römischen Rechts Das älteste römische Gesetz, das bruchstückhaft (in Form von Zitaten) erhalten ist, ist das Zwölftafelgesetz („lex duodecim tabularum“). Es entstand im Zuge der Ständekämpfe zwischen Patriziern und Plebejern in den Jahren 451/450 v. Chr. Das Zwölftafelgesetz blieb die einzige vom Gesamtvolk beschlossene Rechtskodifikation und wurde von Fall zu Fall auf Antrag eines Beamten vom „populus“ (Gesamtvolk) durch „leges“ oder von der „plebs“ (dem einfachen Volk, ohne Patrizier und Senatoren) durch „plebiscita“ (Volksbeschlüsse, vgl. das Fremdwort Plebiszit) ergänzt. Daneben traten Senatsbeschlüsse („senatus consulta“) und Erlässe („edicta“) der Prätoren und der Ädilen. In der Kaiserzeit wurden kaiserliche Willensäußerungen („decretum“, „edictum“, „epistula“ oder „rescriptum“) rechtsverbindlich: Der Kaiser war oberster Hüter des Rechts. Die Rechtswissenschaft Das Besondere, ja Einzigartige am römischen Recht war, dass sich eine eigene Rechtswissenschaft, die soge- nannte Jurisprudenz entwickelte: Da die Formulierung der gesetzlichen Bestimmungen oft sehr knapp, lücken- haft und auf Anlassfälle zugeschnitten war, brauchte man zur Anwendung und Auslegung im täglichen Leben rechtskundige Fachleute („iuris consulti“ / „iuris prudentes“). Ihre Gutachten (responsa) waren Orientierungshil- fen für Richter und Geschworene. Angesehene Juristen erhielten das Recht, mit kaiserlicher Autorität Rechtsbe- scheide zu erteilen („ius ex auctoritate [principis] respondendi“). Ihre „sententiae“ (Urteile) erhielten Rechtskraft. Die römischen Juristen und die juristische Fachliteratur Die meisten römischen Juristen, die etwas Geschriebenes hinterlassen haben, lebten in der römischen Kaiserzeit (1.–3. Jh. n. Chr.). Diese Juristen waren großteils Senatoren, die auch Ämter bekleideten und in die Verwaltung des Staates eingebunden waren, vielfach aber als private Rechtsgutachter tätig waren. Sie berieten Streitparteien, Richter, Beamte und gelegentlich auch den Kaiser. Die meisten Juristen traten mit Kommentaren zu älteren Gesetzen hervor. Die bedeutendsten Vertreter waren Iulianus , Paulus und Ulpianus . Der Jurist Gaius verfasste das einzige erhaltene juristische Anfängerlehrbuch, die sogenannten „Institutiones“ . Das „Corpus iuris civilis“ Im Rahmen seiner ehrgeizigen Pläne, das römische Weltreich in seiner einstigen Größe wiederherzustellen, verfolgte der oströmische Kaiser Justinian I. (525–565) eine zusammenfassende Kodifikation des Rechts, die dazu dienen sollte, die Gesetzesflut aus 1000 Jahren römischer Geschichte einzudämmen und zu ordnen und damit Rechtssicherheit herzustellen. Das Ergebnis dieser in mehreren Phasen durchgeführten Arbeit ist das „Corpus iuris civilis“, der krönende Abschluss der antiken Rechtswissenschaft (entstanden 528–534). Der Leiter der durchführenden Expertenkommission war der Jurist Flavius Tribonianus. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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