Ex libris Latein-Textband

160 Mythos und Rezeption | Vergils Aeneis Charon Aeneas steigt in die Unterwelt, um seinen Vater Anchises zu treffen, der ihn über Roms Zukunft aufklären wird. Dabei gelangt er zum Unterweltsfluss Acheron: Portitor 1 has horrendus aquas et flumina servat terribili squalore 2 Charon a , cui plurima mento 3 canities 4 inculta iacet, stant lumina flamma, sordidus ex umeris nodo 5 dependet amictus. Ipse ratem 6 conto 7 subigit velisque ministrat et ferruginea 8 subvectat corpora cumba 9 , iam senior, sed cruda 10 deo viridisque senectus. Huc omnis turba ad ripas effusa ruebat, matres atque viri defunctaque corpora vita magnanimum 11 heroum, pueri innuptaeque puellae, impositique rogis 12 iuvenes ante ora parentum: Quam multa in silvis autumni frigore primo lapsa cadunt folia, aut ad terram gurgite 13 ab alto quam multae glomerantur 14 aves, ubi frigidus annus trans pontum fugat et terris immittit apricis 15 . Vergil, Aeneis 6,298–312 (Versmaß: Hexameter) Dante begegnet Charon: L6 2 4 6 8 10 12 14 1 portitor, -oris m .: Fährmann 2 squalor, -oris m. : Schmutz 3 mentum, -i m .: Kinn 4 canities, -ei f. : graues Haar 5 nodus, -i m .: Knoten 6 ratis, -is f .: Boot 7 contus, -i m .: Ruderstange 8 ferrugineus, -a, -um: eisenfarben 9 cumba, -ae f .: Kahn 10 crudus, -a, -um: rüstig 11 magnanimum = magnanimo- rum 12 rogus, -i m .: Scheiterhaufen 13 gurges, gurgitis f .: Wasser 14 glomerare 1 : vereinen 15 apricus, -a, -um: sonnig a Charon, -onis m. : Charon ( Fährmann in der Unterwelt ) Charon, der Dämon, treibt sie ( die Seelen) alle jagend Mit sprühendem Blick zusammen; die da säumen, Ermuntert er, sie mit dem Ruder schlagend. Und wie der Herbst die Blätter von den Bäumen Eins nach dem andern rupft, und zwingt die Zweige, All ihren Schmuck der Erde einzuräumen, So Adams böse Brut beim Fingerzeige Zum Strande einzeln lief, als wenn betrogen Vom Lockruf Vögel ziehen zum Dohnensteige ( Fangnetz ). So fahren sie dahin auf dunkeln Wogen, Und eh sie landen dort am Uferwalle, Sind diesseits neue schon herangezogen. (Dante Alighieri, Divina Commedia, Inferno 3,109–120; Übersetzung: Richard Zoozmann) Reproduktion, Transfer und Reflexion • Gib eine Beschreibung des vergilischen Charon (R) . Benenne das epische Mittel, das Vergil in Zeile 12–15 einsetzt (R) . • Stelle Bezüge zum Dantetext her (T) und überlege, warum Dante sich gerade Vergil als Führer im Jenseits gewählt hat (X) . Der Florentiner Dante Alighieri schrieb Anfang des 14. Jh. seine „Divina Commedia“, in der er in 3 mal 33 Gesängen seine eigene Reise ins Jenseits schildert. Als Führer dient ihm dabei Vergil. Durch Hölle und Fegefeuer führt ihr Weg ins Paradies, wo Dante auf seine früh verstorbene Geliebte Beatrice trifft. Mit seiner „Commedia“ (die Beifügung „Divina“ stammt von Dantes Bewunderer Giovanni Boccaccio) verhalf der Autor dem Italienischen als Literatursprache zum Durchbruch. Eugène Delacroix, Dante mit Vergil in der Hölle, 1822, Louvre, Paris Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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