Ex libris Latein-Textband

148 Mythos und Rezeption | Ovids „Metamorphosen“ Im Silbernen Zeitalter entstehen die Jahreszeiten; die Menschen werden sesshaft und betreiben Ackerbau und Viehzucht. Das Eherne Zeitalter ist wilder, es gibt auch schon Waffen, aber noch keine Verbrechen. Zuletzt bricht das Eiserne Zeitalter an: Protinus 1 inrupit venae peioris 2 in aevum omne nefas: Fugere 3 pudor verumque fidesque; in quorum subiere 4 locum fraudesque dolique insidiaeque et vis et amor sceleratus habendi. Vela dabat ventis nec adhuc bene noverat illos navita; quaeque 5 diu steterant in montibus altis, fluctibus ignotis insultavere carinae: communemque prius ceu 6 lumina solis et auras cautus humum longo signavit limite mensor. (...) Die Menschen beginnen auch, die Bodenschätze der Erde auszubeuten. Iamque nocens ferrum ferroque nocentius aurum prodierat: Prodit bellum, quod pugnat utroque, sanguineaque manu crepitantia concutit arma. Vivitur ex rapto : Non hospes 7 ab hospite 7 tutus, non socer a genero; fratrum quoque gratia 8 rara est. Inminet 9 exitio vir coniugis, illa mariti; lurida terribiles miscent aconita novercae; filius ante diem patrios inquirit in annos. Victa iacet pietas, et Virgo a caede madentes 10 ultima caelestum 11 terras Astraea a reliquit. Ovid, Metamorphosen 1,128–150 (gekürzt; Versmaß: Hexameter) II 1 protinus (Adv.) : sofort 2 venae peioris: von schlechte- rem Metall 3 fugére = fugerunt 4 subire, subii: nachfolgen; subiere = subierunt 5 quaeque = et quae (Bezugs- wort ist carinae) 6 ceu: wie 7 hospes, hospitis m. : Gast- freund, Gastgeber 8 gratia, -ae f. : hier : Wohlwollen 9 inminére 2 (+ Dat. ): trachten (nach) 10 madens, -ntis: triefend 11 caelestes, -ium m.Pl.: hier: Götter; caelestum = caelesti- um a Virgo (Virginis f. ) Astraea (-ae): Dike ( Göttin des Rechts, Tochter des Titanen Astraeus) 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Der Zeitaltermythos in der römischen Dichtung Eine Generation vor Ovid setzte sich schon der römische Dichter Vergil mit dem Zeitaltermythos auseinander. Unter dem Eindruck des blutigen Bürgerkriegs erhoffte er die Rückkehr des Goldenen Zeitalters. In der Friedens- herrschaft des Augustus sah er schließlich seine Hoffnung erfüllt. Im Gegensatz dazu ist bei Ovid – er ist in Friedenszeiten aufgewachsen – von einer Erneuerung des Goldenen Zeitalters in der Gegenwart nicht mehr die Rede. Vielmehr scheint er die Lasterhaftigkeit seines Eisernen Zeitalters durch Anspielungen auf die eigene Zeit zu illustrieren. So ließ die Feindschaft zwischen Schwieger- vater und Schwiegersohn die Zeitgenossen Ovids vermutlich an Caesar und Pompeius denken. Was wiederum die Gift mischenden Stiefmütter anlangt, ging über Augustus’ Gattin Livia das Gerücht, sie habe, um ihren Sohn aus erster Ehe, Tiberius, auf den Thron zu bringen, andere potentielle Thronanwärter mit Gift beseitigt. Reproduktion, Transfer und Reflexion • Vergleiche Ovids Darstellung des Goldenen Zeitalters mit der von Hesiod (S. 147) und finde Gemeinsamkeiten und Unterschiede (T) . • Finde einen Versus aureus im Eisernen Zeitalter (Abschnitt II) und vergleiche ihn inhaltlich mit dem Versus aureus im Goldenen Zeitalter (R, T) . • Zeige, wie Ovid die Formulierungen im Goldenen und im Eisernen Zeitalter aufeinander bezieht. Zitiere die entsprechenden Textstellen (R, T) . Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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